Oberhalb der Kurstadt Bad Orb liegt in den Wäldern des Spessarts ein Friedhof. Auf ihm sind 1.430 sowjetische Kriegsgefangene begraben. Die Gedenktafel im hinteren Teil des Friedhofs trägt auf deutsch und russisch die Aufschrift: „Hier ruhen 1.430 sowjetische Kriegsgefangene, die in der schweren Zeit 1941 – 1945 fern von ihrer Heimat starben.“ Doch die Tafel, die Mitte der 50er Jahre errichtet wurde, verharmlost das, was im Winter 1941 / 1942 wirklich passiert ist. Denn die Kriegsgefangenen starben in diesem harten Winter an den unmenschlichen Bedingungen, denen sie im nahen Strafgefangenenlager ausgesetzt waren. Sie mussten in Erdlöchern übernachten, die sie sie selber gegraben haben. Sie starben an unbehandelten Krankheiten, an Kälte, an Hunger, an Misshandlungen. Für die Naziideologie waren sie „Untermenschen“ und so wurden sie behandelt. Die Überlebenden des Stalag brachten nach dem Krieg eine einfache Tafel an, die die Wahrheit ungeschminkt sagte: „Hier ruhen 1430 sowjetische Kriegsgefangene, die von den Faschisten ermordet wurden.“ Diese Tafel wurde zehn Jahre später entfernt und durch die jetzige ersetzt. In den Aufbaujahren wollte man – so scheint es – nicht mehr an die grausame Geschichte dieses Ortes und die Verantwortung dafür erinnert werden.
Mit 30 Männern sind wir auf unserem Nachtpilgerweg vom Gründonnerstag auf Karfreitag an diesen Ort gekommen. Es war die dritte Station auf unserem Weg durch die Nacht. Die Geschichte dieses Ortes hat die Männer – das war schon in der Nacht spürbar und zeigte sich auch in den Rückmeldungen am Morgen – tief beeindruckt und schmerzhaft daran erinnert, was Menschen anderen Menschen antun. Und natürlich war der Ukrainekrieg in diesem Moment für alle präsent. Von den 1430 Soldaten sind übrigens 356 Namen bekannt und auf einer Tafel vermerkt. Neben russischen finden sich auch ukrainische Namen.
Was gibt an einem solchen Ort Hoffnung? Was gibt in unseren Tagen Hoffnung auf ein Ende der Gewalt? Für mich war es in dieser Nacht ein kleines Licht. Ein einzelnes Grablicht brannte an der Gedenktafel. Es war als roter Lichtpunkt schon von weiter weg zu sehen, als wir uns dem Friedhof näherten. Ein Funken Licht, ein Funken Hoffnung, ein Funken des Lichtes von Ostern – mitten im Dunkel des Karfreitags.