Date:05. Okt 2016

Hiob: Der Herr hat’s gegeben…

Reden mit Gott im Leid, Anklage und Sich-Fügen in das Unvermeidliche, sind die Themen dieses liturgischen Konzeptes. Nicht eine, sondern zwei Personen stehen im Mittelpunkt der biblischen und nichtbiblischen Texte: Die alttestamentliche Gestalt des Hiob, dessen Klage nicht Abwendung, sondern Hinwendung zu Gott zeigt. Und die Gestalt Jesu Christi, der selbst gelitten und geklagt hat, der von Gott auferweckt und erhöht wurde. Die Frage, wer verantwortlich ist für das Leid, die Hiob so leidenschaftlich stellt, wird damit nicht aufgelöst. „Ist er es nicht, wer ist es dann?“ bleibt eine offene Frage. Gott entzieht sich menschlichem Denken und Verstehen. Doch Christi Leben und Wort geben nun tatsächlich den Trost im Leid, den Hiobs Freunde nicht geben konnten. Wer sich an ihn wendet, so die Zusage des Evangeliums, findet Ruhe für seine verwundete Seele. Gott gibt, wenn er nimmt, so die Antwort des Lieddichters, die auch mehr eine Richtungsangabe als eine Lösung bietet.


Ist er es nicht,

wer ist es dann?

 (Ijob 9,24)

Esra -Detail

Bild: Codex Vaticanus Graecus 749 fol 25r: Ijob wird aussätzig.

Hjob

Hjob

 

Esra


Alttestamentliche Lesung: Ijob 9, 2.22-24; 10, 1.18-22

Wahrhaftig weiß ich, dass es so ist:
Wie wäre ein Mensch bei Gott im Recht!
Einerlei; so sag ich es denn:
Schuldlos wie schuldig bringt er um.
Wenn die Geißel plötzlich tötet,
spottet er über der Schuldlosen Angst.
Die Erde ist in Frevlerhand gegeben,
das Gesicht ihrer Richter deckt er zu.
Ist er es nicht, wer ist es dann?
Zum Ekel ist mein Leben mir geworden,
ich lasse meiner Klage freien Lauf,
reden will ich in meiner Seele Bitternis.
Neue Zeugen stellst du gegen mich,
häufst deinen Unwillen gegen mich,
immer neue Heere führst du gegen mich.
Warum ließest du mich aus dem Mutterschoß kommen,
warum verschied ich nicht, ehe mich ein Auge sah?
Wie nie gewesen wäre ich dann,
vom Mutterleib zum Grab getragen.
Sind wenig nicht die Tage meines Lebens?
Lass ab von mir, damit ich ein wenig heiter blicken kann,
bevor ich fortgehe ohne Wiederkehr
ins Land des Dunkels und des Todesschattens,
ins Land, so finster wie die Nacht,
wo Todesschatten herrscht und keine Ordnung,
und wenn es leuchtet, ist es wie tiefe Nacht.Wahrhaftig

Wie wäre ein Mensch bei Gott im Recht!
Einerlei; so sag ich es denn:
Schuldlos wie schuldig bringt er um.
Wenn die Geißel plötzlich tötet,
spottet er über der Schuldlosen Angst.
Die Erde ist in Frevlerhand gegeben,
das Gesicht ihrer Richter deckt er zu.
Ist er es nicht, wer ist es dann?
Zum Ekel ist mein Leben mir geworden,
ich lasse meiner Klage freien Lauf,
reden will ich in meiner Seele Bitternis.
Neue Zeugen stellst du gegen mich,
häufst deinen Unwillen gegen mich,
immer neue Heere führst du gegen mich.
Warum ließest du mich aus dem Mutterschoß kommen,
warum verschied ich nicht, ehe mich ein Auge sah?
Wie nie gewesen wäre ich dann,
vom Mutterleib zum Grab getragen.
Sind wenig nicht die Tage meines Lebens?
Lass ab von mir, damit ich ein wenig heiter blicken kann,
bevor ich fortgehe ohne Wiederkehr
ins Land des Dunkels und des Todesschattens,
ins Land, so finster wie die Nacht,
wo Todesschatten herrscht und keine Ordnung,
und wenn es leuchtet, ist es wie tiefe Nacht.

Kehrvers:

Mit Leid ist meine Seele gesättigt, den Toten nahe. (Psalm 88,4)

Psalm 88, 2-3.5.10-11.15-19

Herr, du Gott meines Heils,
zu dir schreie ich am Tag und bei Nacht.
Lass mein Gebet zu dir dringen,
wende dein Ohr meinem Flehen zu!
Schon zähle ich zu denen, die hinabsinken ins Grab,
bin wie ein Mann, dem alle Kraft genommen ist.
all deine Wogen stürzen über mir zusammen.
Mein Auge wird trübe vor Elend.
Jeden Tag, Herr, ruf ich zu dir;
ich strecke nach dir meine Hände aus.
Wirst du an den Toten Wunder tun,
werden Schatten aufstehn, um dich zu preisen?
Warum, o Herr, verwirfst du mich,
warum verbirgst du dein Gesicht vor mir?
Gebeugt bin ich und todkrank von früher Jugend an,
deine Schrecken lasten auf mir und ich bin zerquält.
Über mich fuhr die Glut deines Zorns dahin,
deine Schrecken vernichten mich.
Sie umfluten mich allzeit wie Wasser
und dringen auf mich ein von allen Seiten.
Du hast mir die Freunde und Gefährten entfremdet;
mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis.

 

 

Literaturhinweis:

Georg Langenhorst (Hg.), Hiobs Schrei in die Gegenwart. Ein literarisches Lesebuch zur Frage nach Gott im Leid, Mainz 1995.
Brita Steinwendtner, Hiobs Klage heute. Die biblische Gestalt in der Literatur des 20. Jahrhunderts, Innsbruck 1990.

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Neutestamentliche Lesung:

Hebräerbrief 5, 7-9

Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden. Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden.

Ruf vor dem Evangelium

(Ijob 9,24)

Ist er es nicht, wer ist es dann?

Evangelium: Matthäus 11,28-30

Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.


Lied: Wir sind mitten im Leben zum Sterben bestimmt – Lothar Zenetti

Der katholische Priester, Theologe und Schriftsteller Lothar Zenetti (*1926) beginnt sein Lied mit dem „Echo einer tausendjährigen Klage“, dem Echo einer lateinischen Antiphon, die seit dem 11. Jahrhundert belegt ist: Media vita in morte sumus. Ursprünglich war Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen „ein Hymnus, den die Soldaten im Mittelalter sangen, wenn sie in die Schlacht zogen.“ Martin Luther machte daraus eine dreistrophige Leise, die sich im Evangelischen Gesangbuch)und im katholischen Gotteslob findet. Lothar Zenettis Neuübersetzung steht leider nur noch im Eigenteil des Bistums Mainz:

„Wir sind mitten im Leben zum Sterben bestimmt;
was das steht, das wird fallen. Der Herr gibt und nimmt.“
Zweimal nimmt das Strophenende die Worte Hiobs auf, der sich scheinbar ins Unvermeidliche schickt: Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.

Wir gehören für immer dem Herrn, der uns liebt;
was auch soll uns geschehen, er nimmt und er gibt.

Die Liebe Christi markiert dann den Wendepunkt im Lied. Die „Variation des Verhältnisses von <geben> und <nehmen>, ist die sich in drei Schritten vollziehende Umkehrung des Hiobschen Diktums“:

Wir sind mitten im Sterben zum Leben bestimmt;
was da fällt, soll erstehen. Er gibt, wenn er nimmt.

Lothar Zenetti hat in seiner Umdichtung „noch eine dritte entscheidende Strophe hinzugefügt. In diesen Worten ist die ganze Wirklichkeit von Ostern enthalten“. Meisterhaft wird hier „ohne Pathos und Sentimentalität, in einer angesichts des Todes lapidaren Sprache und Melodie“ von der Umkehr der Verhältnisse durch die Liebe, von der Erlösung im Tod zum Leben gesprochen.
Gotteslob Mainz Nr. 910, Text von Lothar Zenetti 1970.
Zitate von Ansgar Franz, Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2001, S. 471-475 und Franz-Rudolf Weinert, Zwölf neue und alte Lieder aus dem Neuen Gotteslob geistlich erschlossen, Mainz 2014, S.48f.

 

Geistlicher Text: Sören Kierkegaard

„Hiob! Hiob! O Hiob! Hast du wirklich nichts anderes gesprochen als diese schönen Worte: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt? – Nein, du, der du in deines Wohlstands Tagen des Unterdrückten Wehr gewesen bist, des Greises Schirm und des Gebeugten Stab, du hast die Mensch nicht getrogen, und als alles barst, da wardst du des Leidenden Mund und des Zerknirschten Stimme und des Geängstigten Schrei, und eine Linderung allen, die in Qualen verstummten, ein getreuer Zeuge von aller der Not und Zerrissenheit, die in einem Herzen wohnen kann, ein untrüglicher Fürsprech, der es wagte ‚in der Bitterkeit seiner Seele‘ Klage zu erheben und zu streiten wider Gott.“

Zitat aus: Sören Kierkegaard, Die Wiederholung. Ein Versuch in der experimentierenden Psychologie (1843).

„Doch Hiob! In dem Augenblick, da der Herr alles nahm, sprach er nicht zuerst: der Herr hat’s genommen, sondern zuerst sprach er: der Herr hat’s gegeben. Das Wort ist kurz, bezeichnet aber in seiner Kürze vollkommen, was es bezeichnen soll, daß Hiobs Seele nicht zusammengepreßt ward in des Leides stummer Unterwerfung, sondern daß sein Herz zuerst weit ward in Dankbarkeit, daß der Verlust von allem ihn zuerst dankbar machte gegen den Herrn, weil er ihm all den Segen gegeben hatte, den er nun von ihm genommen…“.
Darum „bewahrete er sich im Verluste die Vertraulichkeit mit dem Herrn; er sah den Herrn und darum sah er nicht die Verzweiflung. Oder sieht etwa allein der Gottes Hand, welcher sieht, daß er gibt, oder nicht auch der, welcher sieht, daß er nimmt? Oder sieht etwa allein der Gott, welcher sieht, wie Gott sein Angesicht zu ihm wendet, oder sieht nicht auch der Gott, welcher sieht, wie er ihm den Rücken wendet, gleich wie Moses ja stets nur den Rücken des Herrn gesehen?“

Zitat aus Sören Kierkegaard, Erbauliche Reden 1843/44.

 

Zusammenstellung: Hans-Jakob Becker / Anne-Madeleine Plum Dieser Gottesdienst:  24 Pen A in Patmos Vgl. dazu ausführlich: Hansjakob Becker, „Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz“. Patmos: Begegnungen mit der Bibel im Kontext von Kultur – Liturgie  – Spiritualität, in: Pietas Liturgica 16, Tübingen 2015.

* Texte aus der Heiligen Schrift sind entnommen aus der Einheitsübersetzung © 1980, Katholische Bibelanstalt GmbH.

Liste der Wort-Gottes-Feiern “Patmos”

Informationen zur Gottesdienst-Reihe “Patmos”