Date:05. Aug 2009

Wo wohnst du?

Kunst · Theater · Literatur

Weimar

Bild: Christa Müller-Hoberg

Zu Joh 1,35-39

Wie war Ihr Sommer? Ihr ganz persönlich erlebter Sommer? Egal ob auf Balkonien oder in großer Ferne, sicher gibt es so manches zu erzählen aus den vergangenen Wochen. Und das möchte auch ich. Ihnen etwas erzählen von dem, was mir auf meiner Reise nach Weimar begegnet ist. Was mich beeindruckt, berührt hat.

Weimar, diese Stadt verbinden wir spontan mit der Klassik. Die Stadt, in der die Großen des 18./19. Jahrhunderts mehr oder weniger lange lebten. Die Stadt der großen Dichter und Denker Goethe und Schiller. Auch ich als Touristin von Weimar begab mich auf Spurensuche der Dichterfürsten. Vieles fast Vergessenes brachte ich mit aus dem Deutschunterricht. Die großen Werke der Weltliteratur hatte ich eher als zu hochtrabend, zu pompös, zu ferne meiner eigenen Realität in Erinnerung. Doch ich spürte Neugier in diesen Tagen in Weimar. Neugier auf die Menschen dahinter, hinter unleugbarer Großartigkeit und allgemeiner Bewunderung. Und ich geriet ins Staunen, als ich entdeckte: Goethe und Schiller hatten wirklich Wohnadressen. Goethe am Frauenplan, Schiller an der Esplanade, heute der Schillerstraße.

„Meister, wo wohnst du?“, haben die noch frisch berufenen Jünger und Jüngerinnen Jesus gefragt und eine Antwort erhalten: „Kommt und seht.“ So kam auch ich zu den Dichtern von Weimar und sah. Sah bei Goethe die farblich ausgestalteten, repräsentativen Empfangsräume im 1. Stock, seine Sammlerschränke für die vielen Mitbringsel von seinen Reisen und naturkundlichen Ausflügen, sein Arbeitszimmer, seine stattliche Bibliothek, sah Gartenhaus und Garten. Sah bei Schiller die Schlichtheit der Wohnräume, die Küchenausstattung, den kleinen Schreibtisch in der Mansarde, von dem er, wie es schien, soeben aufgestanden war. Ich spürte irgendwie, dass ich unter dem Geräusch der knarrenden Fußbodendielen den Menschen Goethe und Schiller ein wenig näher kam, mit ihnen ein wenig intimer wurde. Denn ich durfte äußerlich wie geistig die offenen Innenräume betreten, dort, wo ein jeder Mensch sein „gewisses Etwas“ bewahrt.

Und der Sehnsucht nach diesem Mehr an Innerlichkeit entspringt die Frage von Petrus, Andreas und den anderen Berufenen der ersten Stunde. Und obwohl Jesus keine postalische Adresse hatte, lädt er die Fragenden ein. Lädt sie zu sich ein. Zu sich, das bedeutet, geradewegs in sein Leben, in sein Herz. Unvergleichlich, staunenswert, gastlich, einladend stelle ich mir diese Wohnung, dieses innere Haus Jesu vor. Wie es auch die Jünger und Jüngerinnen damals erfahren haben mussten, denn es heißt: sie blieben.

Wo wohnt ihr? Habe ich Goethe und Schiller gefragt. Ich sah und blieb nicht.

Meister, wo wohnst du? Habe ich Jesus gefragt. Ich sah und blieb seither.
 

Christa Müller-Hoberg