Date:02. Mrz 2016

Rückkehr des verlorenen Sohnes

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, heute auch Gleichnis vom barmerzigen Vater genannt, gehört zu den Gleichnissen, die von der Wiederfindung des Verlorenen handeln. Schalom Ben-Chorin zählt sie zu den Theschuba-Gleichnissen, in denen es um die Umkehr des Sünders, hebräisch Theschuba (תְּשׁוּבָה), geht. Die Tore der Umkehr sind nach einem rabbinischen Wort immer geöffnet. Gottes Barmherzigkeit ist in den Augen des älteren, braven, getreuen und immer greifbaren Sohnes eine Ungerechtigkeit. Ben-Chorin weist darauf hin, dass dieses Motiv der Begnadung des Jüngeren – gegen das Erbgesetz – sich im Alten Testament immer wieder findet: Bei Isaak und Ismael, Jakob und Esau, Josef und Ruben, Mose und Aaron, bis hin zur Erwählung Davids unter seinen älteren Brüdern. Die erzählerische Absicht sei es, den Vorrang der Gnade vor dem Gesetz deutlich zu machen. Die Liebe des Vaters gilt dem missratenen Sohn, der seine Schuld bereut und umkehrt. Damit handele es sich bei dem Gleichnis Jesu um eine Variante des rabbinischen Gedankens: An der Stelle, wo die Umkehrenden stehen, können nicht einmal die vollendeten Gerechten stehen.


„Ich will zu meinem Vater

zurückkehren.“

(Lk 15,18)

 

 

 

 

Bild: Rembrandt Harmenszoon van Rijn
Die Rückkehr des verlorenen Sohnes  1666/69
Öl auf Leinwand, 260 x 203 cm,  Eremitage, Sankt Petersburg
 

Rembrandt_Harmensz._van_Rijn_-_The_Return_of_the_Prodigal_Son1

 


Alttestamentliche Lesung: Jeremia 31,9.18-20

Weinend kommen sie
und tröstend geleite ich sie.
Ich führe sie an Wasser führende Bäche,
auf einen ebenen Weg, wo sie nicht straucheln.
Denn ich bin Israels Vater
und Efraim ist mein erstgeborener Sohn.
Ich höre gar wohl, wie Efraim klagt:
Du hast mich erzogen und ich ließ mich erziehen
wie ein ungezähmter Jungstier.
Führ mich zurück,
umkehren will ich;
denn du bist der Herr, mein Gott.
Ja, nach meiner Umkehr fühle ich Reue;
nachdem ich zur Einsicht gekommen bin,
schlage ich an meine Brust.
Ich bin beschämt und erröte;
denn ich trage die Schande meiner Jugend. –
Ist mir denn Efraim ein so teurer Sohn
oder mein Lieblingskind?
Denn sooft ich ihm auch Vorwürfe mache,
muss ich doch immer wieder an ihn denken.
Deshalb schlägt mein Herz für ihn,
ich muss mich seiner erbarmen – Spruch des Herrn.

Kehrvers:

Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über alle, die ihn fürchten. (Psalm 103,13 )

Psalm 103,1-5.8-13

Lobe den Herrn, meine Seele,
und alles in mir seinen heiligen Namen!
Lobe den Herrn, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:
der dir all deine Schuld vergibt
und all deine Gebrechen heilt,
der dein Leben vor dem Untergang rettet
und dich mit Huld und Erbarmen krönt,
der dich dein Leben lang mit seinen Gaben sättigt;
wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert.
Der Herr ist barmherzig und gnädig,
langmütig und reich an Güte.
Er wird nicht immer zürnen,
nicht ewig im Groll verharren.
Er handelt an uns nicht nach unsern Sünden
und vergilt uns nicht nach unsrer Schuld.
Denn so hoch der Himmel über der Erde ist,
so hoch ist seine Huld über denen, die ihn fürchten.
So weit der Aufgang entfernt ist vom Untergang,
so weit entfernt er die Schuld von uns.
Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt,
so erbarmt sich der Herr über alle, die ihn fürchten.

 


Neutestamentliche Lesung:

Römerbrief 8, 14-17.31-32

Denn alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes. Denn ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so dass ihr euch immer noch fürchten müsstet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater! So bezeugt der Geist selber unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden. Was ergibt sich nun, wenn wir das alles bedenken? Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

 

 

 

 

 

 

 

Literaturhinweis:

– Henri J. M. Nouwen, Nimm sein Bild in dein Herz. Geistliche Deutung eines Gemäldes von Rembrandt, Freiburg 1991.
– Schalom Ben-Chorin, Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, München 1977.
– Bibel heute 1 (2015): Umkehr.

 

 

Ruf vor dem Evangelium

(Lk 15, 24.32)

Wir müssen feiern, denn mein Sohn, dein Bruder, war tot und er lebt, er war verloren und wurde gefunden.

Evangelium: Lukas 15, 1-3.12-32

Alle Zöllner und Sünder kamen zu ihm, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen. Da erzählte er ihnen ein Gleichnis und sagte:
Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht. Da teilte der Vater das Vermögen auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen.
Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über das Land und es ging ihm sehr schlecht. Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon.
Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen und ich komme hier vor Hunger um. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner.
Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Da sagte der Sohn: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.
Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand und zieht ihm Schuhe an. Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein. Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern.
Sein älterer Sohn war unterdessen auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle. Der Knecht antwortete: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn heil und gesund wiederbekommen hat.
Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu. Doch er erwiderte dem Vater: So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.
Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.


Lied: Und suchst du meine Sünde – Schalom Ben Chorin (1966)

Christa Reich erzählt, wie der jüdische Schriftsteller und Publizist davon erfuhr, dass sein Lied in ein christliches Gesangbuch aufgenommen wurde. Auf seine erstaunte Mitteilung, er sei wohl der erste Jude, dem das passiere, habe seine Frau geantwortet: „Aber bedenk doch, unser Vater David ist mit seinen Psalmen schon längst in christlichen Gesangbüchern zu finden.“ Die erste Strophe ist der Beginn eines Gesprächs:

1. Und suchst du meine Sünde,
flieh ich von dir zu dir,
Ursprung, in den ich münde,
du fern und nah bei mir.

Typisch für hebräische Redeweise, so Reich, ist das verknüpfende „und“ am Anfang. Immer schon ist der Mensch in Beziehung zu einem Du.

2. Wie ich mich wend und drehe,
geh ich von dir zu dir,
die Ferne und die Nähe
sind aufgelöset hier.

Das Du bleibt im ganzen Lied ohne Namen. Die Ehrfurcht vor dem Namen Gottes lässt ihn unausgesprochen. Die Sprache des Gebetes verfügt nicht über Gott, aber sie zeigt, dass Gott angerufen werden kann.

3. Von dir zu dir mein Schreiten,
mein Weg und meine Ruh,
Gericht und Gnad, die beiden,
bist du und immer du.
Das biblische Gedicht von Schalom Ben Chorin wurde mehrfach vertont. Im Gotteslob steht es mit der Melodie Christian Dostals von 2008 (GL 274,1-3), im Evangelischen Gesangbuch (EG 237) mit der Melodie Kurt Bosslers von 1967.
Zitate zum Lied aus: Christa Reich, Und suchst du meine Sünde, in: Geistliches Wunderhorn, München 2001, S. 462-470.

 

 

 

 

 

 

 

Geistlicher Text: Meister Eckhart (1260-1328)

17. Wie sich der Mensch in Frieden halte wenn er sich nicht in äußerer
Mühsal findet, wie Christus und viele Heilige sie gehabt haben wie er Gott
nachfolgen solle.

Der Mensch soll sich in keiner Weise als fern von Gott ansehen, weder wegen einer Schuld noch wegen einer Schwäche noch wegen irgend etwas sonst. Und sollten deine großen Sünden dich auch so weit abgetrieben haben, dass du dich nicht als Gott nahe anzusehen vermöchtest, so sollst du doch Gott als dir nahe annehmen. Denn es ist vom Übel, wenn der Mensch einen Abstand setzt zwischen sich und Gott. Ob der Mensch sich in der Nähe oder in der Ferne Gottes ergehe: Gott geht nimmer in der Ferne, er bleibt beständig in der Nähe; und kann er nicht drinnen bleiben, so entfernt er sich doch nicht weiter als bis vor die Tür.

Aus: Eckhart von Hochheim (Meister Eckhart),Reden der Unterweisung, 17., S. 128.

Mittelhochdeutscher Text:
17.Wie sich der mensche in vride halte, ob er sich niht envindet ûf ûzerlîcher arbeit, als Kristus und vil heiligen hânt gehabet wie er gote sül nâchvolgen.
Der mensche ensol sich deheine wîs niemer verre von gote genemen, weder
umbe gebresten noch umbe krankheit noch umbe dehein dinc. Nû sî iemer,
daz dich dîne grôze gebresten alsô ûztrîben, daz dû dich niht nâhen ze gote
mügest nemen, sô solt dû dir doch got nâhen nemen. Wan dâ liget grôzer
schade ane, daz der mensche im got verre setzet; wan der mensche gâ
verre oder nâhe, got engât niemer verre, er blîbet ie stânde nâhent; und
enmac er niht innen blîben, sô enkumet er doch niht verrer dan vür die tür.

http://www.meister-eckhart-erfurt.de/fileadmin/Meister-Eckhart/PDF/Erfruter_Reden_mhd.pdf

 

 


Zusammenstellung: Hansjakob Becker / Anne-Madeleine Plum Dieser Gottesdienst:  4 Qua A in Patmos Vgl. dazu ausführlich: Hansjakob Becker, „Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz“. Patmos: Begegnungen mit der Bibel im Kontext von Kultur – Liturgie  – Spiritualität, in: Pietas Liturgica 16, Tübingen 2015.

* Texte aus der Heiligen Schrift sind entnommen aus der Einheitsübersetzung © 1980, Katholische Bibelanstalt GmbH.

Liste der Wort-Gottes-Feiern „Patmos“

Informationen zur Gottesdienst-Reihe „Patmos“

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