Die Zeit des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union geht also mit großen Schritten ihrem Ende entgegen. So scheint es zumindest seit vergangener Woche der erklärte Wille der dortigen Wähler zu sein. Die Mehrheit des Konservativen Boris Johnson im britischen Unterhaus ist komfortabel. So sollte er es leicht schaffen, die erforderlichen Gesetze zu erlassen. Ein Sieg der Demokratie.
Ein Sieg? Es bleiben zu viele Fragen offen. Demoskopen sagen, dass die Mehrheiten der Brexit-Befürworter keineswegs so eindeutig waren, wie es das Ergebnis erscheinen lässt. „The winner takes it all“, lautet die Regel beim Mehrheitswahlrecht auf der Insel. Das heißt: Wer in einem Wahlkreis 50 Prozent der gültigen Stimmen plus eine geholt hat, gewinnt. Die übrigen Wählerstimmen fallen hinten herunter. Das verschafft klare Verhältnisse im Parlament, ist aber in der Praxis ein Maulkorb für alle Andersdenkenden im Stimmkreis.
Nicht dass das deutsche Wahlrecht mit Überhangs- und Ausgleichsmandaten, mit Erststimme für den örtlichen Kandidaten und Zweitstimme, die der Liste der Partei gilt, also letztlich weitaus mächtiger ist, als es der Name verheißt, der Weisheit letzter Schluss wäre. Aber es bildet doch den oft zitierten Wählerwillen besser ab. Und ist vielleicht nicht ganz so empfindlich für Populismus, wie ihn einige der Boulevardmedien auf der Insel in den vergangenen Wochen massiv verbreitet haben.
Ängste vor Massen von osteuropäischen Zuwanderern ins Sozialsystem wurden da ebenso geschürt wie Auswüchse der Eurobürokratie bis ins Detail ausgebreitet. Jede Organisation einer bestimmten Größe hat Auswüchse und Fehlentwicklungen, die es immer wieder zu korrigieren und zurückzuschneiden gilt. Keine Frage. Nur: Mit einem „Seht zu, wie Ihr damit allein klar kommt“, ist niemanden geholfen. Eine Entsolidarisierung schadet am Ende den vermeintlich Starken genauso wie den Schwachen. Mit einem Beharren auf Maximalforderungen ist es ähnlich.
Insofern ist das Brexit-Gerangel mit seinen zum Teil würdelosen Episoden und schier endlosen Wiederholungen vielleicht auch ein Wink für alle Beteiligten an dem „Synodalen Weg“ der katholischen Kirche in Deutschland. Wer immer nur auf die ewiggleichen Probleme im eigenen Haus schaut und Vorwürfe für den Gesprächspartner aufs Tapet bringt, läuft sonst leicht Gefahr, die Chancen und Herausforderungen zu übersehen, die sich beim Blick über den selbst verengten Horizont ergeben.
Markus Hauck
Leiter der Pressestelle des Bistums Würzburg
Kommentar aus: basis-online.net