Zunächst ist – würdigend – hervorzuheben, dass er einer der wichtigen Theologen des Zweiten Vatikanischen Konzils war. Man kann vielleicht sogar sagen, dass ohne ihn dieses ein Stück weit anders verlaufen wäre.
Seine ökumenische Einstellung hat ihn zu einem der wichtigen Vorkämpfer für eine heilsgeschichtlich-biblisch-patristisch orientierte Theologie gemacht. Im Gegensatz zu der von den römischen Vorbereitungskommissionen – entsprechend der herrschenden stark neuscholastisch orientierten Theologie, die nach dem Willen von Pater Tromp und Kardinal Ottaviani irgendwie hätte dogmatisiert werden sollen.
Wichtige Themen Küngs und des Konzils waren Weltbezug der Kirche, Deutung der Zeichen der Zeit. Aggiornamento, Verheutigung des Christentums. Und alles überragend “Ökmenismus” und ein neues (auch theologisch neues) Verhältnis zu den Religionen. Und insgesamt das Thema der Freiheit der Religion. Eine ausgesprochen große Kehre und Wende ereignete sich dort. Bei all diesen Themen war Küng wichtig, wenn nicht in mancher Hinsicht sogar tonangebend. Und war irgendwie eine der wichtigen Exponenten der deutschsprachigen Theologie mit ihrem insgesamt äußerst starken Einfluss, wenn nicht sogar Dominanz, auf den Lauf des Konzils.
Eine große Zeit für Küng verband sich mit seinem Projekt: Fortsetzung des Konzils von Tübingen aus. Da schien er mehr und mehr in mancher Hinsicht doch etwas das Maß für das Mögliche und für die Notwendigkeit eines stärkeren gemeinsamen Vorgehens mit anderen Theologen und Kirchenführern verloren zu haben. Ja mehr und mehr wurde er wohl zu stark zum “Propheten” zu einer Art Luther, “der nicht anders kann”. In diese Zeit fällt der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis durch Papst Johannes Paul II. Dazu lese man das superinteressante Buch des belgischen deutschsprachigen Journalisten Derwahl “Benedikt XVI. und Hans Küng: Geschichte einer Freundschaft” (Knauer Taschenbuch, München 2008).
Heute fragt man sich: Was ist aus der konziliaren Erneuerung der Kirche geworden? Die Kirche Deutschlands, sicher das führende Land des Konzils- und des Nachkonzilsgeschehens, fühlt sich heute wie am Boden liegend. Und fürchtet an verschiedenen Stellen den Fall in die Bedeutungslosigkeit oder in eine Spaltung. Jedenfalls kam es nicht zum großen – von der Theologie geleiteten – Aufbruch.
Was kann/ konnte die Theologie leisten zur Erneuerung und Verlebendigung? So fragt man sich. Hat man nicht zu einseitig auf wissenschaftliche Theologie gesetzt. Noch immer haben wir 40 theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten. Haben vom Staat bezahlten Religionsunterricht in den meisten Schulen. Es müsste eigentlich zum Besten stehen?!
Doch hat man vielleicht doch zu sehr vergessen, dass Erneuerung, auch Gestaltwandel, nicht durch Denken, sondern durch die Kräfte des Charismas, durch Glaube, Hoffnung und Liebe geschieht. Doch der Glaube ist schwach geworden, verdunstet regelrecht. Und steht auch zu sehr unter dem Rechtfertigungsdruck einer sehr verkopften und auch kritischen Theologie. Aber “Wieviel Theologie verträgt die Öffentlichkeit?” So der selbstkritische Titel eines Bandes der auch und gerade bei Theologen sehr angesehenen Reihe “Quaestiones Disputatae” aus dem Jahr 2000. Und überhaupt: Wieviel Theologie verträgt das Glaubensleben des Volkes Gottes? An Katechese hat es in all den Jahren sicher nicht gefehlt. Im Gegenteil.
Doch geht es nicht um Rechtgläubigkeit. Sondern um eine Denkweise, die hilft, mit dem Zueinander von Erfahrung und Wissen richtig umzugehen.
Damit berühren wir zutiefst auch die Thematik des Synodalen Weges, der der Kirche zu neuer Bedeutung verhelfen soll. Doch geht es – in Wirklichkeit – überhaupt noch um die Kirche und nicht zutiefst um Glauben, Hoffen und Lieben? Und diese nicht als Wissen so sehr, sondern als Erfahrung.
Steht also Küng und die Theologie nicht für beides: Für die Neuorientierung und die Aufgabe des Gestaltwandels von Kirche und Welt auf der einen Seite? Und ebenso – trotz guter, neuer und angesehener Theologie oder gerade wegen dieser? – für den wachsenden Bedeutungsverlust von Glaube und Kirche auf der anderen Seite?
Es wäre eine sehr lohnende Aufgabe, die Geschichte der hier skizzierten Problematik wissenschaftlich zu erforschen.