Erzbischof Dr. Ignazio Sanna, Rom

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Mut zum Wagnis – zur politischen Lage Italiens

Im heutigen Italien gibt es nicht mehr wie in der Vergangenheit eine genuin christliche Partei. Katholiken wählen darum alle unterschiedlichen Parteien: Lega, Movimento Cinque Stelle, Partito Democratico, Forza Italia, Fratelli d’Italia. Nach einer Statistik wählen jedoch 70% der Katholiken die Lega, eine Partei,  die die Unabhängigkeit von Europa fördert und verspricht, das Land vor den Migranten zu schützen und die traditionellen moralischen Werte zu erhalten. Sehr oft benützt Salvini religiöse Symbole wie den Rosenkranz oder das Kreuz für Wahlzwecke. 

Leider wissen offenbar diese katholischen Wähler nicht, dass es in der pluralistischen Gesellschaft Italiens nicht mehr möglich ist, christliche Werte durch Gesetze zu schützen und zu verteidigen. Diese Werte können nur noch durch ein gelebtes Zeugnis eingebracht werden. Nur so können sich Christinnen und Christen gegen sogenannte „Bürgerrechte” wie Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe oder Sterbehilfe stellen.

In den letzten Tagen ist eine Regierung ins Amt gekommen, die durch eine parlamentarische Mehrheit entstand, aber nicht der politischen Meinung der Mehrheit entspricht: Die Parteien denken ganz anders über Familie, Leben, Migration, soziale Sicherheit, Europa, Euro. Es ist ein außerordentlicher Vorgang, dass Ex-Präsident Conte das Quirinale betritt, um von einer rechtsextremen Regierung zurückzutreten, und es mit dem Auftrag verlässt, eine linke Regierung zu leiten. Solche Metamorphosen passieren in Italien, dem Land von Heiligen und Wundern.

Welche Haltung sollten Christen in dieser politischen Lage einnehmen?

Hier möchte ich auf den Text  „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils hinweisen, der eine interessante Antwort geben kann: Diese Konstitution stellt fest, dass Christen ihre politischen Aufgaben und Aktionen in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger leisten sollen. Sie benötigen keinen eigenen Auftrag und Segen der Kirche. Sie brauchen ein christliches Gewissen, Fachkompetenz, berufliche Zuständigkeit. So schreibt dieses Dokument (GS, 76):

„Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller umso wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen. Der Mensch ist ja nicht auf die zeitliche Ordnung beschränkt, sondern inmitten der menschlichen Geschichte vollzieht er ungeschmälert seine ewige Berufung.”

Werden die Christen Italiens genügende Kraft besitzen, um sich gemäß dieser Richtlinien in die Gesellschaft und Politik einzubringen?

 

Erzbischof Dr. Ignazio Sanna, Oristano, Rom

siehe Veröffentlichung: basis-online.net