Foto: Buchcover
Im medialen Getöse um die Biografie von Angela Merkel sind andere interessante Neuerscheinungen des Herbstes in den Hintergrund gerückt. Eines der spannendsten Sachbücher hat – wie ich finde – der Soziologe Andreas Reckwitz zum Thema Verlust als gesellschaftlichem Phänomen geschrieben. Darin erläutert der Autor, warum „Verlust“ nicht allein ein individuelles, sondern eben auch ein gesellschaftliches Problem darstellt. Allerdings hält – so seine These – die fortschrittsorientierte Denkweise der Moderne kein Skript bereit, um damit angemessen umzugehen. Die Folge: Moderne Gesellschaften tendieren dazu, Verlusterfahrungen zu verdrängen oder zu privatisieren. Sie geraten damit in eine „Verlusteskalation“. Davon profitieren auf der politischen Ebene zum Beispiel populistische Parteien, die Verlusterfahrungen und die damit verbundenen Ängste bei Menschen vor der Zukunft gezielt zum Stimmenfang „kapitalisieren“.
Verlusterfahrungen prägen ja nicht nur die Gesellschaft als ganze, sondern ganz massiv auch die Kirchen in Deutschland. Verlust an Mitgliedern, Verlust an finanzieller Kraft, Verlust an Relevanz in den gesellschaftlichen Debatten, Verlust an Glaubwürdigkeit, Verlust an Vertrauen bei den Menschen … die Reihe lässt sich noch weiter fortsetzen. Auch hier lässt sich durchaus fragen: Wie gehen die Kirchen mit diesen Erfahrungen um? Haben sie dafür ein passendes Skript? Das sollten sie als klassische „Verlustbearbeiter“ – wie sie Reckwitz pointiert benennt – eigentlich haben
Ein Blick in die eigene Tradition zeigt ja, dass dort Verlusterfahrungen und der Umgang mit ihnen von Anfang an eine große Rolle spielen. Gerade die Bibel erzählt viele solcher Verlustgeschichten, sie beginnt sogar prominent nach der Erschaffung der Welt mit einer solchen Geschichte, nämlich der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies. Zugleich weiß sie aber auch zu bezeugen, wie sich im Blick auf Gott in bedrängende Erfahrungen von Verlust und Scheitern immer wieder Hoffnungsspuren einschreiben, die neue Lebensgewinne eröffnen – für einzelne wie für die Gemeinschaft.
Dieser Tage ist mir dazu eine Karte mit einem biblischen Vers in die Hand gefallen, der dies prägnant auf den Punkt bringt und gut in die Weihnachtsbotschaft hineinpasst:
„Denn sicher gibt es eine Zukunft, deine Hoffnung wird nicht zerschlagen.“ (Sprüche 23,18)
Das Buch:
Andreas Reckwitz, Verlust. Ein Grundproblem der Moderne. Suhrkamp Verlag, 2024
ISBN-10 : 3518588222
ISBN-13 : 978-3518588222
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