Lucas Cranach – Martin Luther – Uffizi – wikimedia commons
Am letzten Samstag sah ich wieder einmal das Wort zum Sonntag im Fernsehen. Ein evangelischer Pfarrer aus der Großstadt Bochum legte ungefähr Folgendes dar: Als Protestant war er nie in Wittenberg gewesen. Das sollte jetzt im Lutherjahr geschehen. Er sah sich alles an, machte die eine oder andere gute Erfahrung und begegnete schließlich auch dem großen Lutherdenkmal auf dem Zentralplatz mit seiner Aufschrift: Hier stehe ich und kann nicht anders. Für ihn auffällig waren die vielen Menschen, die gerade dort ihr Erinnerungsfoto machten. Er sagte sich: Dieses Wort ist kein gutes Wort. Hier müsste etwas anderes stehen: Etwas von der großen Sehnsucht des Menschen, von Gott angenommen zu sein, überhaupt – auch menschlich – angenommen zu sein. Ein Wort von der Zusage des christlichen Gottes an die Menschen, dass dies so ist.
Wenn ich das Reformationsjahr etwas überblicke: Ich habe tatsächlich sehr vieles gelesen und mich in Buchhandlungen immer wieder gewundert, wieviel in kurzer Zeit an hochqualifizierter Literatur zum Thema entstanden ist. Also von Überblick kann keine Rede sein. Und doch darf ich wohl etwas mitreden. So kann ich sagen: Luther ist in diesem Jahr ja nicht immer und überall nur gut weggekommen. Licht und Schatten gibt es da. Besonders haben mich die sehr zahlreichen Darstellungen seines zerklüfteten Innenlebens immer wieder interessiert.
Etwas, was möglicherweise alle bewundernd mitgekriegt haben, ist tatsächlich der Satz: Hier stehe ich und kann nicht anders. Luther also gegen den Rest der Welt.
Natürlich ist sein Wort vom „Glauben allein“ und von der „Gnade allein“ und „der Schrift allein“ relativ bekannt. Man begegnete dieser Dreiheit in vielen Darstellungen, auch der Presse.
Doch sind auch diese drei Worte zwar Worte der Gnade, dann doch wieder in einem Zusammenhang des Protestes und der Aufruhr gelesen und verstanden. Luther hat durch seine Beschimpferei, allen voran des Papstes, der Katholiken, aber auch der aufrührerischen Bauern, der Juden, der Türken dann halt doch ein Klima geschaffen, in dem nicht zu erkennen war, dass diese drei Worte Zusagen der Annahme durch Gott sind und nicht in erster Linie Aufrufe zum “Dagegen-Sein”. So heißt seine “Religion” konsequenterweise nun mal Protestantismus. Ein eigenartiges Wort für eine Religion.
Und unser deutsches Denken ist reichlich geprägt vom „Protestieren“. So stöhnt schon Dostojewskij im neunzehnten Jahrhundert über Deutschland als dem „ewig protestierenden Reich“. „Dagegen“ sind wir – meistens, ständig – jedenfalls als Erstimpuls auf Grund unseres kritischen Bewusstseins, das ja nach wie vor (erfolgreich erreichtes) Ziel aller Bildung ist. Das geht bis hinein in unsere Gesprächs-(Un-)Kultur. Erst nein, dann eventuell doch. ja.
Das muss mit Luther allein nichts zu tun haben. Doch ist sein großes Nein doch bewusstseinsbildend geworden, bzw. es wurde erfolgreich in einem Volk, dass überhaupt gerne „dagegen ist“. Im Anschluss an Luther kommen heute wieder die „Wutbürger“ zu Ehren.
„Alles ist Gnade“. Gnade verbunden mit einer (schöpfungsmäßig gesehen) höchsten Ungnade. Der Mensch in der sehr pessimistisch-negativen Anthropologie Luthers innerlich verdreckt, zerstört, ein „Misthaufen“, den die Gnade zudeckt. Sie hat da keine Chance, etwas auszurichten und zu bessern. Der Mensch selbst darf dies erst recht nicht aus Eigenem tun wollen. Seltsam ist, dass diese Negativ-Sicht des Menschen, die ja im Wesentlichen seit Paulus-Augustinus die westlich-abendländische Christentums-Auffassung zentral geprägt hat, nie eigentlich so richtig Thema des Lutherjahres wurde, jedenfalls dem entsprechend, was ich durchschnittlich lese.
Ausnahme, mächtige Ausnahme ist Heiner Geißler mit seinem Buch „Was müsste Luther heute sagen?“ Was er sagen müsste (jetzt wieder zum Bochumer Pfarrer): Ihr seid viel geliebte Gotteskinder, und ich liebe in Euch so viel Schönes und Gutes. Glaubt, dass ich Euch mag und Euch angenommen habe. Nichts könnt Ihr tun, was Euch meiner Liebe und Zuwendung verlustig gehen lassen könnte.
Euer Fehler ist, dass Ihr zu wenig oder gar nicht glaubt, dass Ihr in meinen Augen etwas wert seid, geachtet, ja tief geliebt seid. Das habe ich euch ja gesagt durch Jesus Christus (und vieles andere). Doch habt ihr es nie so recht glauben können.
In Luther habe ich Euch ebenfalls einen solchen Boten geschickt: Ihr seid gerechtfertigt durch Glauben „allein“. Glaubt ihm. Ihr braucht Euch nicht ständig zu rechtfertigen.
Doch kritisch (jetzt halt doch) muss ich da fragen: Wird diese Aussage (durch Luther) nicht dadurch wieder unterlaufen, dass er so stank hervorhebt: Unverdient, unwürdig, „trotz“ des Schlimmen im Menschen und trotz der „Missgeburt“ (Paulus), die jeder ist. Nein, so ist es nicht gemeint. Oder halt doch? Und doch wird es leicht tatsächlich so, wenn ihr euch selbst abwertet. Nicht daran glauben könnt, dass ihr gut seid. Dann müsst ihr tatsächlich ewig protestieren und dürft nie zur Ruhe kommen.
Hätte Luther (und die Christenheit) nicht außer der (neu verstandenen) Bibel auch einen tüchtigen Therapeuten gebraucht?!
Also statt „Protestantismus“: „Religion der vielgeliebten und angenommenen Gotteskinder“. Oder einfach der „evangelischen Christen“, „der dem Evangelium vertrauenden Menschen“. Der Menschen, die aus der Zusage leben, dass Gottes Botschaft an sie eine froh machende und den Menschen wertende Botschaft ist. Eine Religion und Weltanschauung von Menschen, die sich getrauen (!), dies – nach Jahrhunderten – endlich für sich in Anspruch zu nehmen.
Frei nach Nietzsche: Zu groß ist/wäre diese Tat. Sie hätte auch Nietzsche er-lösen können.
Gott selbst hat uns zu dieser Tat ermächtigt. Glauben wir ihm. Nehmen wir seine Gnade dazu einfach – dankbaren Herzens – an.
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