Da fehlen einfach Stellungnahmen von wichtigen und repräsentativen Vertretern der Muslime gegen Gewalt im Namen ihrer Religion. Solche Stellungnahmen müssen nach wie vor die Politiker in unserem Land leisten und nicht zu vergessen die Päpste, wie vor allem Benedikt XVI. es getan hat. Doch müssen sie immer auch wieder mit dem Vorwurf der Islamfeindlichkeit rechnen, wenn sie solches tun, erhoben von ihren eigenen Leuten.
Wir Deutsche haben nun Mal einen mächtigen Konflikt mit unserem Deutschsein. Mir kommt da der Kater im Hause eines Nachbarn in den Sinn. Eine ausgesprochen anhänglicher und “liebesbedürftiger” Katze, die sich gerne streicheln lässt. Doch wenn man an eine bestimmte Stelle auf dem Rücken auch nur kam, kratzte sie blitzschnell. Ich trug über längere Zeit eine Spur davon auf meinem Handrücken. Der Kater kam aus dem Tierheim, wer weiß wie es ihm in früheren Zeiten ging, welche Wunden er davon getragen hat. Dieser Kater kommt mir also in den Sinn, wenn ich die Reaktion von uns Deutschen auf mich wirken lasse, wenn es darum geht, sich selbst, Deutschland – positiv – zum Thema zu machen.
Zurück zu den Muslimen in unserem Land und gleichzeitig in aller Welt. Da will ich darauf hinweisen, dass es auch ihnen vielleicht so ähnlich ergeht wie dem zitierten Kater. Die Frage: Wer sind wir im Angesicht der anderen? Wer sind wir, wenn wir diese nicht einfach abwerten und in die Hölle schicken dürfen und auch irgendwie nicht (mehr) wollen. Also die Frage nach der eigenen Identität. Identität ohne Abwertung des anderen, aber auch ohne Selbstabwertung. Und Identität in bewusstsein des eigenen, des Wer-wir-Sind.
Da treffen sich (in Deutschland) zwei beschädigte Identitäten: die deutsche und die muslimische. Ich denke, dass man dies grob so sagen darf.
Der Islam ist, nicht zuletzt durch die Begegnung mit dem Westen, auch dies also eine Frucht der Planetarisierung und Globalisierung, in einer echten Krise. Nicht zuletzt auch dadurch, dass vieles, was bisher still verborgen, geschützt vor den Blicken anderer im eigenen Lager sich geben durfte. Doch immer mehr wird auch öffentlich über Dinge diskutiert bzw. werden diese beschrieben und kundgetan, die bisher nicht öffentlich verhandelt wurden und vor allem nicht vor anderen. Mehr als ein Regalmeter von solcher Literatur befindet sich inzwischen in meiner Privatbibliothek.
Ich erinnere hier an den Blick in das Innere von muslimischen Familien wie wir dies bei Necla Kelek, einer hoch gebildeten Deutsch-Türkin etwa, aber auch bei vielen anderen ,lesen können. Das war bisher durch ein starkes Schamempfinden der jeweiligen Familie einfach vor fremden Blicken abgeschirmt. Diese Geschlossenheit ist mehr und mehr nicht mehr möglich.
Ich nenne: Kelek: Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland. Ebenso: Dies: Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes. Goldman TB. Und viele andere.
So spricht man vielfach vom “Untergang der islamischen Welt” (Hamed Abdel-Samad). Gemeint ist Untergang des muslimischen Milieus. So wie es vor noch nicht langer Zeit ein Untergang des katholischen Milieus bei uns gab. Das heißt Pluralisierung und damit Aufklärung und Freiheit, auch und gerade der Religionsausübung, der eigenen wie der der anderen.
Oder ich nenne: “Die unaufhaltsame Revolution. Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern2 (Youssef Courhage, Emmanuel Todd). Piper, München, Zürich.
Bei einem Empfang der islamischen Botschafter beim Heiligen Stuhl sagte Benedikt XVI: Es erwecke den Anschein, dass der Islam heute an der Stelle stehe, an der das abendländische Christentum am Beginn der Aufklärung stand.
Und die in manchem naheliegende Reaktion ist: Mauern bauen. Ich erinnere an die Bemühungen der Kirchenleitungen im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, durch allerlei Verbote und strenge Kontrolle, nicht zuletzt der Intellektuellen und der Theologen, die alte Welt zu retten, den Glauben der “Einfachen” zu schützen. Die Kirche hatte damals keine eigentliche politische Macht mehr- im Unteerschied zum Islam vielfach -, so dass es im Wesentlichen bei einem geistigen Ringen blieb, es allerdings auch zu einem Exodus vieler, vor allem von Gebildeten, aus der Kirche kam, in Europa wie vor allem auch in Lateinamerika.
Ein wichtiger Faktor in diesen Prozessen des Islam heute sind die Frauen und ist das Thema Frau. Es sind die Frauen, die in ihren Familien das Traditionelle erhalten. Es sind aber auch Frauen, die mutig um einen neuen Platz in der Gesellschaft und nicht zuletzt in der Familie kämpfen. In diesen Tagen wurde z.B. bekannt, dass Frauen in Arabien jetzt auch Auto fahren dürfen. Zum Thema: “Die verschleierte Gefahr. Die Macht der muslimischen Mütter und der Toleranzwahn der Deutschen.” Europa-Verlag, Berlin, München, Zürich, Wien (von Zana Ramadani).
Zu diesem Thema gibt es besonders viele Literatur. Nicht zuletzt sei hier genannt: Ich bin Malala. Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft. Unvergesslich (wirklich!) ihre Rede vor dem Plenum der Vereinten Nationen in New York (2013).
Bedrohend für den Islam ist die ganze Literatur, die inzwischen auch auf akademischem Niveau entsteht, seit es an Universitäten Lehrstühle für islamische Theologie gibt. Sie bemühen sich mit westlichen wissenschaftlichen Standards um das Verständnis des Islam und seiner Geschichte, nicht zuletzt der wahren Geschichte des Mohammed. Da ist besonderes zu nennen Hamed Abdel-Samad und seine historisch-kritische Erforschung des Mohammed. Erstaunlich, dass der Autor dieses Buches immer noch lebt. Die Zeit hat sich vielleicht doch etwas geändert, seit wegen seiner “satanischen Verse” der entsprechende Autor zum Tode verurteilt wurde.
Und in allem dann die Diskussion, ob der Koran nicht zu sehr auf Hass beruhe und inwieweit auch die muslimische Religion eine Religion der (auch der universellen) Nächsten-Liebe ist. Wichtig das Buch: “Der Koran: Botschaft der Liebe, Botschaft des Hasses. Ein Streitgespräch zwischen Abdel-Samad und dem münsteraner Islamgelehrten Khorchide”. Von Letzterem auch das Buch: “Ist der Islam noch zu retten? Eine Streitschrift”. (Droemer)
Zu nennen ebenfalls: Die gescheiterte Reformation. Salafistisches Denken und die Erneuerung des Islam. Herder. Im Lutherjahr wurde von islamischer Seite immer wieder die Frage erörtert, ob es im Islam so etwas wie eine Reformation geben müsste. Auch dies ein Beitrag zum Lutherjahr.
Sehr interessant das Bekenntnis von Kermani, einem Träger des Friedenspreises des deutschen Buchahndels: “Ungläubiges Staunen”. Er berichtet, wie er sich – für einen Mulim etwas Ungewöhnliches, wie er sagt – mit dem Christentum beschäftigt hat. Von ihm auch Reiseberichte durch islamische Länder. Alle sind sie verfasst mit dem Blick auf die Umwälzungen im Denken der verschiedenen Völker und ihrer Eliten. Immer noch aktuell und lesenswert sind die zahllosen Bücher von Scholl-Latour.
Faszinierend die Beschreibung der Prozesse in den verschiedenen sozialen Schichten des Iran, die dort stattfinden hinter der Fassade von immer noch aufrecht erhaltenen traditionellen Strukturen und Denkmustern. Vergl.: Charlotte Wiedemann: Der neue Iran. Eine Gesellschaft tritt aus ihrem Schatten. dtv.
Ein Bestseller in vielen Auflagen ist. Michel Houllebecq: Unterwerfung. Er schildert dort (in einem Denkmodell) die Übernahme der Regierung in Frankreich durch eine islamische demokratische Partei, die über Absprachen mit Koalitionspartnern die Regierung übernimmt. Und wie jetzt alles, verhältnismäßig friedlich und vor allem verfassungsgemäß und demokratisch, mehr und mehr islamisch geprägt wird, bei gleichzeitiger Tolerierung der bisherigen Auffassungn.
Nicht zuletzt lässt aufhorchen und erschrecken die Blauäugigkeit, mit der der Westen den sogenannten arabischen Frühling begrüßte ohne zu bedenken oder auch nur ahnen zu wollen, dass das, was folgt eben nicht ein demokratischer Staat auf der Basis einer freien Zivilgesellschaft im westlichen Sinn sein würde. Man hätte es – apätestens – nach dem Irak-Desaster eigentlich besser wissen müssen.
Und dass es in der Türkei zu dem kommen würde, was kam, hätte man eigentlich voraussehen können. Jedenfalls ist mir dies seit einer gemeinsamen Pilgerfahrt durch die Türkei auf Paulus-Spuren vor einigen Jahren relativ klar geworden.
Zu Syrien lese man: Michael Lüders: Die den Sturm ernten. Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte (C.H.Beck Verlag, München). Viele auflagen.
Was wird werden? Aus dem Islam? Aber auch aus uns? Was sagt uns Gott?