Date:28. Sep 2008

Noch einmal Bolivien

Zeichen der Zeit

Bolivien

Foto: chris74 – Fotolia.com

In den letzten Tagen gab es immer wieder Nachrichten über die politischen Unruhen in Bolivien. Da mein Herz sozusagen für Bolivien schlägt, weil mich viele freundschaftliche – eigentlich besser: familiäre Beziehungen mit Menschen und Land verbinden, habe ich diese Nachrichten mit großem Interesse verfolgt, doch die Berichte waren immer nur sehr kurz… eigentlich mehr Randnotizen.
Gestern kam nun per Rundmail ein Brief von einer Freundin aus Bolivien. Ihre Zeilen haben mich sehr bewegt und betroffen gemacht.

Ulrike Groß

Rundbrief September 2008

Liebe Freunde!

Heute morgen erwachte ich und schaute in dicken Nebel, der aber in Wirklichkeit Rauch war, der von den vielen abgefackelten Feldern her über unser Dorf waberte. Augenreizungen, Husten und Kopfweh sind die Folgen, die vor allem den kleinen Kindern zu schaffen machen.
Für mich war dieser Rauch wie ein Sinnbild dessen, was wir gerade mal wieder in Bolivien erleben: Unruhen, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern des Präsidenten Evo Morales und seiner Regierungspartei „MAS“, Blockaden, Verletzte, Tote, Tränen, Leid – das alles sind wie rauchende Feuer, die einen Dunstschleier über das Leben der Menschen hier legen und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verdunkeln. Heute soll endlich mal wieder ein Dialog in Gang kommen – gebe Gott, dass alle Beteiligten dabei wirklich das Wohlergehen des Volkes und nicht nur ihre eigenen politischen Interessen im Blick haben!

Mittlerweile haben wir in unserer Region den 10. Tag der totalen Strassenblockaden, die die „MAS“-Anhänger im Nachbardorf San Julian als Antwort auf die Plünderung der staatlichen Einrichtungen in Santa Cruz letzte Woche errichtet haben.
Das bedeutet, dass keine Versorgungsgüter aus anderen Regionen mehr herbeigebracht werden können. Treibstoff und Flüssiggas waren schon vorher knapp, jetzt gibt es nichts mehr. Auf den Märkten gibt es kein frisches Obst oder Gemüse mehr, Kartoffeln und Reis waren auch nicht mehr zu haben, sowie keine Milch oder Milchprodukte. In unserem kirchlichen Mädcheninternat „MAMENKO“ sah sich die Direktorin, Sr.Flora, gezwungen, die Mädchen heimzuschicken, weil sie ihre Ernährung nicht mehr gewährleisten konnte. Einige mussten aber dennoch da bleiben, weil der Weg nach Hause schon blockiert war.

Vorige Woche war ich in Santa Cruz, weil ich auf der einen Seite die junge deutsche Freiwillige Carina abholen wollte, die für ein Jahr hier bei uns mitarbeiten wird, und auf der anderen Seite meine Mutter und P. Thomas an den Flughafen begleitete.

Als wir am Dienstag nachmittag in Santa Cruz ankamen, hörten wir nahe unserem Hotel schon Böllerschüsse und Lärm von aufgebrachten Menschenmassen: die Jugendorganisation „Union Juvenil“, der erbittersten Gegner des Präsidenten, hatte sich gerade darangemacht, die staatlichen Einrichtungen (wie z.B. das Amt für Landreformen, verschiedene Behörden, staatliches Telefon etc.) zu stürmen und zu plündern.

Die Unruhen gerieten schnell ausser Kontrolle; die jugendlichen Banden marodierten plündernd und prügelnd durch die Stadt, niemand gebot ihnen Einhalt.

Zum Glück gingen die Flüge planmässig, so dass meine Mutter mit P. Thomas zwar ein Stück durch eine Blockade am Eingang zum Flughafen laufen mussten, aber sie kamen gut von hier weg und auch mittlerweile gut in Deutschland an.
Carina, die neue Freiwillige, und ich saßen aber erst mal in Santa Cruz fest, da alle Strassen nach draussen, und vor allem die nach San Ramon, blockiert waren. Um nicht zu viel Hotelkosten zu haben, suchten wir Zuflucht bei den Franziskanerinnen, die uns überaus gastfreundlich aufnahmen. Hinter den hohen Mauern ihres Konventes horchten wir Tag und Nacht auf den Lärm der Unruhen ringsum und warteten darauf, dass sich die Situation beruhige und die Blockaden auflösten. Aber vergeblich.
Nach drei Tagen beschloss ich, die einzige Möglichkeit, die sich uns bot, um aus der Stadt zu kommen, wahrzunehmen: Ich kaufte zwei Tickets für einen Bus, der die Blockaden auf der Landstrasse nach San Ramon weitläufig umgehen wollte und uns über San Antonio nach Concepción bringen konnte. Dort hoffte ich, eine Möglichkeit zur Weiterfahrt nach San Ramon zu finden.
Unser Bischof, Mons. Antonio, war auch in Santa Cruz. Wir besuchten ihn, damit er Carina kennenlernte und besprachen unseren Reiseplan mit ihm. Er lud uns ein, in Concepción zu bleiben, wenn wir von dort nicht mehr weiter könnten.
Aber ich hatte ja nur das Allernotwendigste für eine Übernachtung von zuhause mitgenommen, als wir in San Ramon losgefahren waren, und ich hatte nun nach knapp 5 Tagen in den gleichen Kleidern nur den einen Wunsch, endlich irgendwie wieder nach Hause zu kommen. Auch Carina wollte endlich ihren Einsatzort kennenlernen.

Also fuhren wir am Samstag um 8:00 Uhr morgens mit dem Bus in Santa Cruz los.
Und um acht Uhr abends kamen wir, nach einer extrem staubigen und holperigen Fahrt über knapp 200 km unbefestigte Wege, wohlbehalten in Concepción an. Dort wurden wir wieder sehr gastfreundlich von den Franziskanern aufgenommen und konnten uns unsere dicken Schichten von Staub abwaschen.

Am nächsten Morgen besuchten wir die feierliche Sonntagsmesse, wo um Frieden in Bolivien gebetet wurde, und nach dem Mittagessen hatten wir das Glück, von einem Caritas-Mitarbeiter nach San Ramon mitgenommen zu werden.
So kamen wir endlich am Sonntagnachmittag hier zu Hause an.

Nun hoffen wir, dass die Konfliktparteien rasch eine Lösung finden, damit die Menschen hier wieder aufatmen können.
Wegen der Strassenblockaden können wir auch nicht an der internationalen Ausstellung in Santa Cruz teilnehmen, wo wir mit den Handarbeiten unserer Frauengruppen schon angemeldet waren. Das ist natürlich sehr enttäuschend für alle, da wir ja schon seit Wochen auf dieses Ereignis hin gearbeitet und uns Verkaufserfolge und Aufträge erhofft haben.

Im Moment bleibt uns mal wieder, wie so oft in Bolivien, nur das Gebet und die Hoffnung, dass trotz aller düsteren Aussichten die Bereitschaft zum Kompromiss das Land vor dem totalen Chaos bewahren möge.

Liebe Grüsse an Euch alle.

Eure Ulla