Mit Blut gezeichnet sind wir frei

Die Buchmalerei aus der Rylands-Haggada illustriert die Vorschriften zur Bereitung des jüdischen Paschamahles. Der bärtige alte Mann im rechten unteren Raum hält in seiner linken Hand selbst eine Haggada, aus der beim Festmahl gelesen und gesungen wird. Das christliche Paschamysterium, von dem Melito von Sardes schreibt, hat seine Wurzel im alttestamentlich-jüdischen Pessachfest. Die theologische Verknüpfung von jüdischem Blutritus und dem Opfer Jesu Christi mündet bei diesem Dichter in die Worte des „lebendigen Christus“: „ICH bin eure Vergebung; ICH bin das Passa des Heiles; ICH bin das Lamm, geschlachtet für euch…“. Im Kirchenlied wird deutlich, dass wir in jeder Eucharistiefeier zur Teilhabe an diesem Mysterium eingeladen werden: „…und wer von seinem Blute trinkt, wird eins mit ihm und lebt mit ihm.“


Das Blut des Paschalammes soll ein Zeichen zu eurem Schutz sein (Exodus 12,13)

Bild:Rylands Haggada
Bereitung des Paschalammes  19v  um 1330, Katalonien
Tempera, Gold und Tinte auf Pergament
John Rylands Universitätsbibliothek,  Manchester

zum Bild: >> Ryland Haggadah – zweites Bild auf der Seite anklicken


Alttestamentliche Lesung:*

Exodus 12,1-14

Der Herr sprach zu Mose und Aaron in Ägypten: Dieser Monat soll die Reihe eurer Monate eröffnen, er soll euch als der erste unter den Monaten des Jahres gelten. Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am Zehnten dieses Monats soll jeder ein Lamm für seine Familie holen, ein Lamm für jedes Haus. Ist die Hausgemeinschaft für ein Lamm zu klein, so nehme er es zusammen mit dem Nachbarn, der seinem Haus am nächsten wohnt, nach der Anzahl der Personen. Bei der Aufteilung des Lammes müsst ihr berücksichtigen, wie viel der Einzelne essen kann. Nur ein fehlerfreies, männliches, einjähriges Lamm darf es sein, das Junge eines Schafes oder einer Ziege müsst ihr nehmen. Ihr sollt es bis zum vierzehnten Tag dieses Monats aufbewahren. Gegen Abend soll die ganze versammelte Gemeinde Israel die Lämmer schlachten. Man nehme etwas von dem Blut und bestreiche damit die beiden Türpfosten und den Türsturz an den Häusern, in denen man das Lamm essen will. Noch in der gleichen Nacht soll man das Fleisch essen. Über dem Feuer gebraten und zusammen mit ungesäuertem Brot und Bitterkräutern soll man es essen. Nichts davon dürft ihr roh oder in Wasser gekocht essen, sondern es muss über dem Feuer gebraten sein. Kopf und Beine dürfen noch nicht vom Rumpf getrennt sein. Ihr dürft nichts bis zum Morgen übrig lassen. Wenn aber am Morgen noch etwas übrig ist, dann verbrennt es im Feuer! So aber sollt ihr es essen: eure Hüften gegürtet, Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand. Esst es hastig! Es ist diePaschafeier für den Herrn. In dieser Nacht gehe ich durch Ägypten und erschlage in Ägypten jeden Erstgeborenen bei Mensch und Vieh. Über alle Götter Ägyptens halte ich Gericht, ich, der Herr. Das Blut an den Häusern, in denen ihr wohnt, soll ein Zeichen zu eurem Schutz sein. Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen und das vernichtende Unheil wird euch nicht treffen, wenn ich in Ägypten dreinschlage. Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen. Feiert ihn als Fest zur Ehre des Herrn! Für die kommenden Generationen macht euch diese Feier zur festen Regel!

Kehrvers:

Gott wirkt Wunder, er befreit sein Volk. (Psalm 77,15-16)

Psalm 136, 1.4.10-16.23-25

Dankt dem Herrn, denn er ist gütig,
denn seine Huld währt ewig!
Der allein große Wunder tut,
denn seine Huld währt ewig,
Der die Erstgeburt der Ägypter schlug,
denn seine Huld währt ewig,
und Israel herausführte aus ihrer Mitte,
denn seine Huld währt ewig,
mit starker Hand und erhobenem Arm,
denn seine Huld währt ewig,
der das Schilfmeer zerschnitt in zwei Teile,
denn seine Huld währt ewig,
und Israel hindurchführte zwischen den Wassern,
denn seine Huld währt ewig,
und den Pharao ins Meer stürzte samt seinem Heer,
denn seine Huld währt ewig.
Der sein Volk durch die Wüste führte,
denn seine Huld währt ewig,
Der an uns dachte in unsrer Erniedrigung,
denn seine Huld währt ewig,
und uns den Feinden entriss,
denn seine Huld währt ewig,
der allen Geschöpfen Nahrung gibt,
denn seine Huld währt ewig.
.


Neutestamentliche Lesung:

1. Korintherbrief 5,6-8

Zu Unrecht rühmt ihr euch. Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid. Ihr seid ja schon ungesäuertes Brot; denn als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden. Lasst uns also das Fest nicht mit dem alten Sauerteig feiern, nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit.

Ruf vor dem Evangelium

(Lukas 22,15 )

Ich habe mich sehr danach gesehnt, das Paschamahl mit euch zu essen.

Evangelium: Matthäus 26,17-20.26-29

Am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote gingen die Jünger zu Jesus und fragten: Wo sollen wir das Paschamahl für dich vorbereiten? Er antwortete: Geht in die Stadt zu dem und dem und sagt zu ihm: Der Meister lässt dir sagen: Meine Zeit ist da; bei dir will ich mit meinen Jüngern das Paschamahl feiern. Die Jünger taten, was Jesus ihnen aufgetragen hatte, und bereiteten das Paschamahl vor. Als es Abend wurde, begab er sich mit den zwölf Jüngern zu Tisch.
Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und esst; das ist mein Leib. Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet und reichte ihn den Jüngern mit den Worten: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Ich sage euch: Von jetzt an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich mit euch von neuem davon trinke im Reich meines Vaters.


Lied: Zum Mahl des Lammes schreiten wir

Ad coenam agni providi gilt als einer der ältesten ambrosianischen Hymnen und wird dem Dichterbischof Niceta di Remesiana (heute Bela Palanka nahe Niš in Serbien) aus dem 5. Jahrhundert zugeschrieben. Im heutigen Gotteslob lautet die dritte Strophe des Liedes „Zum Mahl des Lammes schreiten wir“:
„Am Paschaabend weist das Blut
Den Würgeengel von der Tür:
Wir sind befreit aus harter Froh
Und von der Knechtschaft Pharaos.“

Diese Münsterschwarzacher Übersetzung orientiert sich enger am biblischen Geschehen von Exodus 12 und am achtstrophigen Hymnus, die frühere Gotteslob-Fassung (altes GL Nr. 854) formulierte in der zweiten Strophe freier, worin die Wirkung des Blutes besteht:
„Mit Blut gezeichnet sind wir frei;
der Todesengel geht vorbei.
Erlöst von schwerer Knechtschaft Band
ziehn wir in das gelobte Land.“
Das „Mahl des Lammes“ ist die Eucharistie, zu der Christus selbst einlädt:
„Am Kreuze gab er seinen Leib für alle Welt zum Opfer hin;
und wer von seinem Blute trinkt,
wird eins mit ihm und lebt mit ihm.“

 

Text: Gotteslob Nr. 642, nach “Ad cenam Agni provide”, 5.-6. Jahrhundert, Übersetzung: Abtei Münsterschwarzach 1972, Stundenbuch 1978.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literaturhinweis: Hansjakob Becker, Liturgiegeschichte in Bildern, in: H. Becker (Hrsg.), Gottesdienst – Kirche – Gesellschaft, (Pietas Liturgica 5), St. Ottilien 1991, S. 246-247.

 

 

Geistlicher Text: Melito von Sardes (2. Jahrhundert)

Erst im Jahr 1940 wurde nach einem griechischen Papyrus aus dem 4. Jahrhundert die vollständige Schrift “Über das Pascha“ von Melito von Sardes veröffentlicht. Dem in Kleinasien beerdigten Theologen verdanken wir die älteste christliche Osterpredigt. Er versteht Ostern als Mysterium des Pascha und deutet das alttestamentliche Geschehen christologisch:

„Alt ist das Gesetz, neu das Wort;
augenblickshaft nach dem Vorbild, ewig nach der Gnade;
vergänglich das Schaf, unvergänglich der Herr,
der, wie das Lamm, nicht gebrochen wurde, sondern auferstand als Gott.
Er wurde wie ein Schaf zur Schlachtung geführt, aber ein Schaf war er nicht;
und wie ein stummes Lamm, aber er war auch kein Lamm.
Denn das Eine geschah (als) Vorbild, das Andere ward als Wahrheit erfunden.
Denn an die Stelle des Lammes trat Gott und an die Stelle des Schafes ein Mensch,
in dem Menschen aber Christus, der (in sich) das All umfaßt.
Denn wirklich,
die Schlachtung des Schafes und die Feier des Passa und die Schrift des Gesetzes
ist in Christus enthalten, um dessentwillen alles im alten Gesetz geschah,
um wieviel mehr in dem neuen Wort!
Denn das Gesetz wurde zum Wort und das Alte ward neu,
hervorgehend aus Sion und Jerusalem,
und das Gebot wurde zur Gnade, das Vorbild zur Wahrheit,
das Lamm zum Sohn, das Schaf zum Menschen, der Mensch zu Gott.
Als Sohn wurde er geboren als Lamm hinausgeführt,
als Schaf geschlachtet und als Mensch begraben;
von den Toten erstand er als Gott von Natur Gott seiend und Mensch.
Er ist das All:
Gemäß seinem Richten (ist er) Gesetz,
gemäß seinen Lehren Wort,
gemäß seinem Retten Gnade,
gemäß seinem Zeugen Vater,
gemäß seinem Gezeugtsein Sohn,
gemäß seinem Leiden Schaf,
gemäß seinem Begrabenwerden Mensch,
gemäß seiner Auferstehung Gott.“
Immer wieder betont Meliton die Gottheit Christi, bis hin zur Aussage: „Der Herr – ist geschmäht worden; Der Gott – ist getötet worden“, eine in seiner Wirkungsgeschichte verhängnisvolle Formulierung. Dem Palästinapilger und mit jüdischer Theologie so vertrauten Dichter ist jedoch die Heilsgeschichte des Volkes Gottes offensichtlich viel zu kostbar, als dass man ihm leichtfertig die antisemitische Deutung selbst unterstellen sollte, seine Kritik steht in der Tradition alttestamentlicher Tadelrede.

Nach Melitons typologischer Deutung war Christus selbst im Exodus-Geschehen gegenwärtig, der Todesengel wurde nicht durch das Blut des Paschalammes an den Türpfosten abgeschreckt, sondern durch das „Vorbild“, d.h. den Typos des Herrn selbst:
„Sage mir, Engel, wovor schrakst du zurück?
Vor der Schlachtung des Schafes, oder vor dem Leben des Herrn?
Vor dem Blute des Schafes, oder vor dem Geist des Herrn?
Offensichtlich warst du erschrocken, weil du das Mysterium des Herrn
in dem Schaf geschehen sahst,
das Leben des Herrn in der Schlachtung des Schafes,
das Vorbild des Herrn in dem Tod des Schafes;
darum schlugst du Israel nicht…“.
Seine Osterpredigt ist noch heute lesenswert, seine Gedanken liefern einen wichtigen Schlüssel gerade zur Überwindung jeglicher Begrenzung des Erlösungswillens Gottes: „Nicht an einem einzigen Ort, noch auf einen kleinen Raum wurde die Herrlichkeit Gottes eingesetzt, sondern auf alle Grenzen der bewohnten Erde wurde seine Gnade ausgegossen.“
Zitate aus: Josef Blank, Meliton von Sardes: Vom Passa. Die älteste christliche Osterpredigt, (Sophia 3), Trier 1963.

 

Zusammenstellung: Hans-Jakob Becker / Anne-Madeleine Plum Dieser Gottesdienst:  10 Pen A in Patmos Vgl. dazu ausführlich: Hansjakob Becker, „Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz“. Patmos: Begegnungen mit der Bibel im Kontext von Kultur – Liturgie – Spiritualität, in: Pietas Liturgica 16, Tübingen 2015.

* Texte aus der Heiligen Schrift sind entnommen aus der Einheitsübersetzung © 1980, Katholische Bibelanstalt GmbH.

Liste der Wort-Gottes-Feiern “Patmos”

Informationen zur Gottesdienst-Reihe “Patmos”