Jeremia – verhöhnt

Aus den Berichten von Folteropfern wissen wir, dass nicht Grausamkeit und Schmerz das Schlimmste für einen Menschen ist, sondern die Verspottung und Demütigung in diesem Schmerz. Die seelische Grausamkeit hinterlässt tiefere Spuren als die rein körperliche. Dem um 650 geborene Jeremia verlangt sein prophetischer Auftrag buchstäblich alles ab, Schmerzen und Hunger, Demütigungen und Schmach. Gott mutet ihm von Anfang an eigentlich Unzumutbares zu: Verspottung, Verleumdung, Gefangenschaft und Verschleppung. In allem lebt Jeremia das, was Jesus dann von seinen Jüngern fordert: Kreuzesnachfolge. Doch ausgerechnet dieser Mann spricht über seine Gottesbeziehung wie ein Verliebter. Gottes Wort ist für ihn Glück und Herzensfreude, denn dieser Gott hat ihn betört.
Jeremia stammt aus einem landpriesterlichen Geschlecht, er lebt in einer politisch und religiös sehr bewegten Zeit. Nicht nur über sein persönliches Schicksal, sondern auch über sein Denken und Fühlen erfahren wir mehr, als von allen anderen Propheten. Seine Person ist Vor-Bild und Illustration der Lebenshaltung, die auch Angelus Silesius als Lieddichter besingt.

 


„Du hast mich betört.“           

(Jeremia 20,7)

Bild: Emil Nolde
Prophet
Holzschnitt, 1912

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Alttestamentliche Lesung:*

Jeremia 19,14 – 20,2.7-10.18
Als nun Jeremia vom Tofet zurückkam, wohin der Herr ihn zum Weissagen gesandt hatte, begab er sich in den Vorhof beim Haus des Herrn und sagte zu allem Volk: So spricht der Herr der Heere, der Gott Israels: Seht, ich bringe über diese Stadt und über alle ihre Nachbarstädte all das Unheil, das ich ihr angedroht habe, weil sie ihren Nacken versteift haben und nicht auf meine Worte hören wollen. Da ließ Paschhur den Propheten Jeremia schlagen und in den Block spannen, der im oberen Benjamintor beim Haus des Herrn war.
[Jeremia sprach:]
Du hast mich betört, o Herr,
und ich ließ mich betören;
du hast mich gepackt und überwältigt.
Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag,
ein jeder verhöhnt mich.
Ja, sooft ich rede, muss ich schreien,
«Gewalt und Unterdrückung!», muss ich rufen.
Denn das Wort des Herrn bringt mir
den ganzen Tag nur Spott und Hohn.
Sagte ich aber: Ich will nicht mehr an ihn denken
und nicht mehr in seinem Namen sprechen!,                                                                                           so war es mir, als brenne in meinem Herzen ein Feuer,
eingeschlossen in meinem Innern.
Ich quälte mich es auszuhalten
und konnte nicht;
hörte ich doch das Flüstern der Vielen:
Grauen ringsum! Zeigt ihn an!
Wir wollen ihn anzeigen. Meine nächsten Bekannten
warten alle darauf, dass ich stürze: Vielleicht lässt er sich betören,
dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.
weil er mich nicht sterben ließ im Mutterleib.
So wäre meine Mutter mir zum Grab geworden,
ihr Schoß auf ewig schwanger geblieben.
Warum denn kam ich hervor aus dem Mutterschoß,
um nur Mühsal und Kummer zu erleben
und meine Tage in Schande zu beenden?

 

Kehrvers:

Deinetwegen erleide ich Schmach. (Psalm 69,8)

Psalm  69, 2-4.8-19.13-15

Hilf mir, o Gott!
Schon reicht mir das Wasser bis an die Kehle.
Ich bin in tiefem Schlamm versunken
und habe keinen Halt mehr; ich geriet in tiefes Wasser,
die Strömung reißt mich fort.
Ich bin müde vom Rufen,
meine Kehle ist heiser, mir versagen die Augen,
während ich warte auf meinen Gott.
Denn deinetwegen erleide ich Schmach
und Schande bedeckt mein Gesicht.
Entfremdet bin ich den eigenen Brüdern,
den Söhnen meiner Mutter wurde ich fremd.
Denn der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt;
die Schmähungen derer, die dich schmähen, haben mich getroffen.
Man redet über mich in der Versammlung am Tor,
von mir singen die Zecher beim Wein.
Ich aber bete zu dir,
Herr, zur Zeit der Gnade. Erhöre mich in deiner großen Huld,
Gott, hilf mir in deiner Treue!
Entreiß mich dem Sumpf,
damit ich nicht versinke. Zieh mich heraus aus dem Verderben,
aus dem tiefen Wasser!

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Neutestamentliche Lesung:

2. Korintherbrief 4, 5.7-10.16

Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen. Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt. Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. Wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird. Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert.

Ruf vor dem Evangelium

(Jeremia 20,7)

Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören.

Evangelium: Matthäus 16,21-25

Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen. Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.


Lied: Mir nach, spricht Christus, unser Held – Angelus Silesius (1624-1677)

Johannes Scheffler, der sich nach seiner Konversion Angelus Silesius nennt, war Mystiker, Dichter und zugleich Hofmedicus in Breslau. Nachfolge Christi ist ihm ein Herzensanliegen und dafür riskiert er, sich vor nüchternen Zeitgenossen lächerlich zu machen. Sein sechstrophiges Lied Mir nach, spricht Christus, unser Held findet sich im 5. Buch der Heiligen Seelen-Lust.

1.Mir nach!”, spricht Christus, unser Held,
“mir nach, ihr Christen alle!
Verleugnet euch, verlasst die Welt,
folgt meinem Ruf und Schalle,
nehmt euer Kreuz und Ungemach
auf euch, folgt meinem Wandel nach!

Was man als Aufruf zur Weltflucht missverstehen kann, ist für den Dichter und Mystiker Ausgangspunkt für den Weg zu Gott:

3. Ich zeig euch das, was schädlich ist,
zu fliehen und zu meiden
und euer Herz von arger List
zu rein’gen und zu scheiden.
Ich bin der Seelen Fels und Hort
und führ euch zu der Himmelspfort.

4. Fällt’s euch zu schwer? Ich geh voran,
ich steh euch an der Seite,
ich kämpfe selbst, ich brech die Bahn,
bin alles in dem Streite.
Ein böser Knecht, der still mag stehn,
sieht er voran den Feldherrn gehn.

Gotteslob Nr. 461, 1.3.4

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literaturhinweis:

Martin Buber, Der Glaube der Propheten, Heidelberg 1984.

 

 

 

Geistlicher Text: Karl Rahner SJ (1904-1984)

Ganz im Sinn der Mystiker mahnt der Theologe Rahner, Gott als Geheimnis zu anzuerkennen, das sich menschlichem Verstehen entzieht:

„Die Mystagogie muß von der angenommenen Erfahrung der Verwiesenheit des Menschen auf Gott hin das richtige >Gottesbild< vermitteln, die Erfahrung, daß des Menschen Grund der Abgrund ist: daß Gott wesentlich der Unbegreifliche ist: daß seine Unbegreiflichkeit wächst und nicht abnimmt, je richtiger Gott verstanden wird, je näher uns seine ihn selbst mitteilende Liebe kommt; […] Solche Mystagogie muß uns konkret lehren, es auszuhalten, diesem Gott nahe zu sein, zu ihm >Du< zu sagen, sich hineinzuwagen in seine schweigende Finsternis.“

Karl Rahner, Frömmigkeit früher und heute, in: Schriften zur Theologie Bd. VII, Einsiedeln 1966, S. 21.

Zu diesem Geheimnis gehört für ihn die „Nacht des Glaubens“, die es auszuhalten gilt. Von einer glaubwürdigen Verkündigung fordert er, Glaubenserfahrungen, wie sie Jeremia und der Psalmist thematisieren, nicht zu unterschlagen:

„[…] wäre nicht vielen in der Erfahrung ihrer individuellen Glaubensgeschichte geholfen und deren Bestehenkönnen besser gesichert, wenn die existentielle Seite des Glaubens und deren Geschichte den Hörern der Glaubenspredigt von vornherein vorausgesagt würde: Glaube als Aushalten des Schweigens Gottes; die die >Nacht< des Glaubens; das scheinbare >Schrumpfen< des Glaubens als eine Verdichtung; der Glaube (trotz seiner material differenzierten Inhaltlichkeit) als Schweigen über Gott; das Erkennen des Herrn allein im >Brechen des Brotes< für den >Fremdling< (Lukas 24,31); die dauernde Auferstehung des Glaubens aus dem Grab des Unglaubens usw. Wo das alles (und vieles mehr) nicht kerygmatisch vorhergesagt wird, erlebt der, der glauben will, in seiner Glaubensgeschichte vieles als Anstoß, Versuchung, ja als die scheinbare Pflicht, nicht zu glauben, was doch nur legitime Momente und Phasen dieser Geschichte sind. […] Soll die Predigt der Kirche heute Glauben weckend und fördernd sein, muß
sie sich hüten, Evangelium und Glaube indiskret und in einem unechten Optimismus zu einfach als eine das Leben siegreich gestaltende und erhellende Macht darzustellen. […] Im Grunde ist die >Lösung<aller Lebensfragen durch das Christentum deren entschlossene Offenhaltung ohne den Kurzschluß des radikalen Pessimismus und Skeptizismus und ohne einen lügnerischen Optimismus, der meint, die Lösung jetzt schon zu >haben<, ist >Hoffnung wider alle Hoffnung<, Bergung aller Unbegreiflichkeiten nicht in eine durchschaubare Lösung, sondern in das unbegreifliche Geheimnis Gottes und seiner Freiheit. Damit ist nichts >gelöst<, sondern jene >Unlösbarkeit< des Geheimnisses bedingungslos angenommen, das Gott heißt. Und eben das heißt: glauben und hoffen und lieben.“

Karl Rahner, in: Handbuch der Pastoraltheologie Bd. III, Freiburg 1964, S. 522.524ff.

 

Zusammenstellung: Hans-Jakob Becker / Anne-Madeleine Plum Dieser Gottesdienst:  19 Pen A in Patmos Vgl. dazu ausführlich: Hansjakob Becker, „Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz“. Patmos: Begegnungen mit der Bibel im Kontext von Kultur – Liturgie  – Spiritualität, in: Pietas Liturgica 16, Tübingen 2015.

* Texte aus der Heiligen Schrift sind entnommen aus der Einheitsübersetzung © 1980, Katholische Bibelanstalt GmbH.

Liste der Wort-Gottes-Feiern “Patmos”

Informationen zur Gottesdienst-Reihe “Patmos”