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Zeitzeichen Glaube, der sich in der Seele versteckt und sich (nur behutsam) äußert
Zum fünften Mal veröffentlicht die Zeitschrift Cicero ein Ranking der – nach ihren Analysen – “500 wichtigsten Intellektuellen” im deutschsprachigen Raum (Januar 2017). Da steht- wieder einmal – der Schriftsteller Martin Walser an erster Stelle. Dicht gefolgt von dem Philosophen Peter Sloterdijk. Martin Walsers neunzigster Geburtstag wird dieses Jahr mit vielen Publikationen und Veranstaltungen groß gefeiert. Ich habe vor mir liegen das Heft “Der Spiegel. Biografie.” Ausgabe 1/2017 mit dem Titel: “Martin Walser, 90. Chronist der deutschen Seele”. Mich hat natürlich interessiert, was es da über Religion zu finden gibt. Nun wird das Wenige, was dort vorkommt, nicht das Ganze des Religiösen bei Martin Walser sein. Doch irgendwie erschien es mir nicht ganz untypisch für manche Sektoren der “deutschen Seele” und vielleicht mancher Sektoren der modernen Seele insgesamt.
Ich zitiere ein dort veröffentlichten Interview mit ihm (Hervorhebungen von HK):
“Es wirkt so als räumten Sie gerade ihr Leben auf.”
MW.: Wenn, dann ordnet es sich von selbst.Ich beurteile das nur nach meiner Tätigkeit. So wie diese neue Novelle mit dem Titel ‘Mein Jenseits’, die sich im Sommer von selbst hingeschrieben hat. Es war für mich sensationell, dass so eine Figur wie Augustin Feinlein von mir erzählt werden will. Als das Buch fertig war, habe ich bemerkt, dass ich vor fünf Jahren niemals über so ein Thema hätte schreiben können.
Sie meinen über das Altern?
MW.: Auch. Aber das Eigentliche ist etwas anderes. Ich wage es kaum in den Mund zu nehmen, es ist so offensichtlich.
Versuchen Sie es trotzdem.
Augustin hat Glaubenserlebnisse. Die Ausweglosigkeit in der Liebe macht ihn zum Glaubensspezialisten. Er entsinnt sich der Lehre eines Vorfahren, dass der Glaube größer ist als das, was wir wissen. Ich habe also aufgeschrieben [fast gegen seinen Willen, HK], wie wichtig Glaubensempfindungen in einem Menschen sind, weil er sie nötig hat. Dabei habe ich doch eigentlich nicht so einen Kirchenfimmel.
Versöhnt Sie der Glaube mit dem Alter?
MW.: Sagen wir es so. Wenn ein Glaubensversuch etwas nicht schöner macht, kann man ihn auch lassen. Allerdings ist Glauben ja nicht etwas, das man positiv besitzt. Er ist eine andauernde Provokation. Die Größe des Glaubens wird kenntlich an der Größe des Unglaubens, so sagt es Kierkegaard. Also sagt man sich: Gut, werte ich das Ringen um den Glauben sportlich, das hält mich lebendig.
Im Dorf des Augustin Feinlein entwickeln alte Menschen sonderbare Eigenheiten. ‘Mödelen’, wie es die Dorfbewohner nennen. Beobachten Sie bei sich selbst auch solche Mödelen?
MW.: Mödelen merkt man ja nicht selber. Aber diese Jenseitsorgie kommt ja nur dadurch zustande,, dass dieser Augustin Feinlein aussichtslos ist bei einer Frau. Aussichtslosigkeit als persönliche Erfahrung. Dann die Anziehungskraft dessen, was unerklärlich bleibt, trotz allen Wissens. Ich habe mich gefreut [also halt doch, HK.], als Augustin Feinlein mir den Satz serviert hat: ‘Wir glauben mehr als wir wissen’.” (Martin Walser, 90, 106 f.). Soweit das Zitat.
Da meldet sich also Glaube, gegen seinen Willen und doch gewollt und gegen das, was das Bewusstsein weiß und zugibt (und doch von diesem gerne zur Kenntnis genommen wird, eigentlich “zugegeben”.
Parallel zu dem hier zitierten Heft las ich in einer sehr lesenswerten Biographie über Teresa von Avila (Alois Prinz: Teresa von Avila. Die Biographie, Insel Verlag 2015): “In unseren modernen Zeitalter reagiern die Menschen auf religiöse Reden weniger mit einem Schrecken als mit einem Gefühl der ‘Peinlichkeit’. So jedenfalls sieht es der Philosoph Peter Sloterdijk. Um nicht von der Frage nach einem verehrungswürdigen höheren Wesen berührt zu werden, so meint er, müsse der Mensch nach der Aufklärung ‘eine breite Schwelle aus Verlegenheit überqueren’ Der Grund hierfür liege nicht in der viel beschworenen ‘Gottesferne’ unseres aufgeklärten Zeitalters. Nicht zu fern ist Gott der heutigen Menschheit, eher haben sie, so vermutet Sloterdijk, Angst davor, zuzulassen, ‘dass er ihnen zu nahe träte, sollten sie seine Angebote ernst nehmen.’ (Sloterdijk, Zorn und Zeit, 116, zitiert in Prinz, 92)
Und D. Sölle, Sloterdijk aufgreifend und weiterfühend: “Allerdings sollte man sich davor hüten, eine ‘Hermeneutik des Verdachts’ (Dorothee Sölle, Mystik und Widerstand, 71) zu betreiben, die generell hinter allem, was mit Religion, Visionen und Offenbarungen zu tun hat, Verdrängung, Sublimation oder Täuschung vermutet. Diese Art von Kritik kommt nach Sloterdijk entweder aus dem Ressentiment oder aus ‘unbewussten Lästerzwängen und einer unfreien Lust am Herabsetzen des Hohen.'”. (Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, 513, zitiert in: Prinz 196 f.)
Wir erleben heute: Religion ist vielfach etwas sehr Privates und Persönliches. Und sie zu äußern ist schnell “peinlich”. Mit dem Thema Religion betreten wir sozusagen einen heiligen Raum, einen sehr persönlichen und verletzlichen Raum im Innern des Menschen. Die Älteren von uns kommen aus einer Zeit, in der Religion selbstverständlich und öffentlich war, aber damit auch formelhafter, ritueller. Man braucht die eigene Betroffenheit nicht zu zeigen. Man konnte sich mit dieser sozusagen verstecken, es offen lassen, was man genau damit verband, wenn man “praktizierte”. Heute hat sich das Religiöse sozusagen verkrochen in das menschliche Innen. Dort, wo es schon immer war. Doch fällt der Schutz des persönlichen Erlebten durch die öffentlich praktizierte Religion weg. Es käme heute darauf an, mit Menschen über Persönliches und Religiöses ins Gespräch zu kommen. Nicht sie zu indoktrinieren, nicht sie dort “abholen”, wo sie stehen, sondern ihnen dort begegnen, wo sie stehen. Und das Seinige möglichst unaufdringlich, nicht belehrend, dazulegen.
Folgender Text hat mich im Verlauf der letzten Jahre immer wieder inspiriert und begleitet. Die zitierte Begebenheit aus der Selbstbiographie des Philosophen und Ethikers Hans Jonas scheint mir sehr typisch zu sein für unsere Kultur. Die beiden Gesprächspartner (er und Hannah Arendt) kannten sich seit Jahren und waren seit ihrer gemeinsamen Studienzeit in einem intensiven und häufigen philosophischen Gedankenaustausch. Er schreibt in seiner selbstbiographie: “Und dann gab es einmal ein Gespräch bei ihr [Hannah Arendt], das mir unvergesslich geblieben ist. Lore [seine Frau] und ich verbrachten einen Abend bei ihr, gemeinsam mit Mary McCarthy und einer Freundin von ihr, die in Rom lebte und, wie sich bald herausstellte, gläubige Katholikin war. Sie nahm ein lebhaftes Interesse an mir und forderte mich mit der Frage heraus: ‘Glauben Sie an Gott?’ So direkt bin ich das noch nie gefragt worden – und das von einer fast fremden Person! Ich sah sie erst etwas ratlos an, dachte nach und sagte – zu meiner eigenen Überraschung. ‘Ja!’ Hannah zuckte zusammen – ich weiß noch, wie sie mich erschrocken ansah. ‘Wirklich?’ Und ich erwiderte: ‘Ja. Letzten Endes ja. Was immer das bedeuten mag, die Antwort ‘Ja’ kommt der Wahrheit näher als ‘Nein”. Kurze Zeit später war ich mit Hannah allein. Wieder kam das Gespräch auf Gott, und sie sagte: ‘Ich habe nie an einem persönlichen Gott gezweifelt.’ Worauf ich sagte: ‘Aber Hannah, das wusste ich gar nicht! Und dann verstehe ich nicht, wieso du neulich an diesem Abend so befremdet reagiert hast.’ Und sie antwortete: ‘Ich war erschüttert, das aus deinem Mund zu hören, weil ich das nie gedacht hätte.’ Also haben wir uns beide mit diesem Eingeständnis überrascht.” (Hans Jonas: Erinnerungen. Insel Verlag, Frankfurt/M und Leipzig 2003, 341)
Am vergangenen Sonntag (Dritter Ostersonntag) lasen wir als Evageliumstext die Begebenheit der Begegnung mit dem auferstandenen Jesus am See Tiberias (Joh 21,1-14). Ich zitiere ihn hier wegen der Aussage: Keiner wagte ihn zu fragen, ob er Jesus sei. Keiner wagte, es auszusprechen. Denn sie wussten: Es ist Jesus. Vielleicht hatten sie doch Angst, sich voreinander zu blamieren. Wenn er es nicht war? Zu ungewöhnlich, unerwartet war die Situation. Und doch sollte es gesagt werden. Wenn die Ersten nicht darüber geredet hätten, hätte es nie das Christentum gegeben. Dieser Text wirft ein helles Licht auf die “Peinlichkeit” mit Glaubenserfahrungen umzugehen und dieselbe zu überwinden.
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Das gewählte Bild zeigt den “naturnahen”, tropischen Garten der Seele, in dessen reicher Wildnis auch manches Pflänzchen oder manches an Farbe und Duft als Gotteszeichen erlebt werden kann, heimlich, unausgesprochen, verschämt und doch letztlich gerne zugegeben und erzählt.
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