Dr. Gertrud Pollak

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Elementares

04.08.2021

Keine Frage – zunächst war ich einfach nur betroffen und voller Mitgefühl für das, was Menschen durch die Unwetter zugestoßen ist. Beeindruckend bleiben die vielen Formen von Solidarität, die fast überall erlebbar wurden. Dennoch: Viel Leid hat langwierige Wunden geschlagen.

Mittendrin gibt es eindrucksvolle Situationen, die in all dem Elend dazwischen erlebbar waren oder erzählt wurden. Nur Randereignisse könnte man meinen. Allerdings wird deutlich, dass es für die Betroffenen keine zufälligen Begebenheiten sind, die am Rand passiert wären. Ungeplant kommen auf unterschiedliche Weise ganz elementare Regungen und innere Antriebe an die Oberfläche.

Was leitet einen 67-jährigen Baggerfahrer an, ohne zu wissen, wie es gelingen soll – unter steter Lebensgefahr – eine breite Schneise zu baggern, durch die das Wasser abfließen kann, damit der Damm sicherer wird? Vor laufender Kamera sagt der gestandene Mann in den Nachrichten ganz schlicht: „Ich habe meinen Rosenkranz genommen, mich gesegnet (macht dazu ein Kreuzzeichen) und dann bin ich los.“ Er möchte nicht, dass man von ihm als „Held“ spricht. Elementares tritt zutage.

Wie ist es möglich, dass eine Gruppe Überflutungsopfer stundenlang auf einem Dach ausharrt, bis Hilfe kommt. Für Journalisten ist die Frage an eine Frau aus der Gruppe naheliegend, was sie denn die ganze Zeit gemacht haben. Die Frau sagt einfach schlicht: „Ich habe sehr viel gebetet“. Das hört sich nicht nach Frömmelei an. Es geht nicht um eine plumpe Bestätigung des Sprichworts von der Not, die angeblich beten lehrt. Elementares tritt zutage.

Unvergesslich die Fernsehbilder von dem Mann, der mit Eimer und Schlammstiefeln erzählt, dass er jeden Abend seinen Ehering in eine Kommode gelegt habe, die jetzt einfach weggespült wurde. Bei den Aufräumarbeiten will er aus dem Bottich auf der anderen Straßenseite Wasser holen. Dabei sieht er plötzlich unterhalb im Schlamm etwas glitzern. Sichtlich bewegt erzählt er: „Es war mein Ehering“. Die ganz unbedachte, wunderbare Reaktion. Er sei zu seiner Frau gelaufen und habe sie gebeten, ihm den Ring noch einmal anzustecken, wie damals bei der Hochzeit. „Ich habe gedankt, dass der Herrgott mir eine so wunderbare Frau geschenkt hat.“ Es ist zu spüren. Hier geht es nicht einfach um eine religiöse Reaktion auf ein unglaubliches Ereignis. Deutlich wird, was Menschen zusammenhält, wie ein vielleicht im Alltag vergessenes Sakrament ohne große Worte trägt, weil es das Leben meint. Eine ganz menschliche Person, eine Ehefrau hat dies erfahrbar gemacht – glaubwürdig, aber vermutlich ohne darüber je große Worte zu verlieren. Elementares tritt zutage.

Gewiss wird es auch ganz andere, bestürzte, stumme und aggressive Beispiele von Menschen geben. Aus ihnen sprechen verständlicherweise andere Regungen, die unsere Solidarität und unser Mitgefühl verdienen. Auch Verzweiflung und Wut sind elementare Kräfte. Geht es nicht um unser offenes Mitgehen in dem, was angeblich Randereignisse sind?

 


 

Dr. Gertrud Pollak, Mainz
Ordinariatsdirektorin a. D.
Generaloberin Säkularinstitut Frauen von Schönstatt