Dr. Ralph Poirel, Bonn

Foto: Hubertus Brantzen

St. Martin und die Chancen der christliche Botschaft

In der vergangenen Woche am 11. November wurde des Heiligen Martins von Tours gedacht. In Deutschland ist dieses Datum in besonderer Weise durch Martinsumzüge charakterisiert. Regional haben diese sehr unterschiedliche Gepräge. An meinem Wohnort Bonn gibt es eine besonders intensive Martinstradition, die darauf zurückzuführen ist, dass das Münster in Bonn dem Heiligen Martin geweiht ist. In der Stadt selber und in vielen Vororten gibt es im Umfeld des 11. November große Martinsumzüge. Viele Kinder sind mit ihren bunten Laternen auf den Straßen unterwegs, singen neue und althergebrachte Martinsweisen und Laternenlieder. An nicht wenigen Orten reitet der „Heilige Martin“ gleichsam mit: ein römischer Soldat hoch zu Ross. In anderen Orten wird die zentrale Berufungsgeschichte des Heiligen Martins, die Begegnung mit dem Bettler, mit dem er dann im kalten Winter den Mantel geteilt hat, auch nachgespielt. Egal aber wie dieser Tag ausgestaltet wird, er ist in Bonn eine große lebendige Tradition, die – und das will im Rheinland schon was heißen – ansonsten wahrscheinlich nur mit Karneval oder hier und dort einem Schützenfest zu vergleichen ist. Hunderte sind an diesem Tag auf den Straßen, begleiten die Umzüge, schauen sie an oder aber, und das ist in Köln und Bonn ebenso bedeutsam, erwarten die Kinder im Nachgang des Umzugs in den Hauseingängen Süßigkeiten, um ihnen für ihren Gesang zu danken. In dem Bonner Stadtteil, in dem ich lebe, hat man am Tag des Martinsumzuges das Gefühl, dass das ganze Dorf auf den Beinen ist und zahlreiche Häuser geschmückt sind mit Lichtern und Laternen, die die Kinder schon von weitem willkommen heißen.

Es ist für mich daher sehr bezeichnend, dass in diesem Umfeld Halloween fast keine Rolle spielt. Es gibt Halloween-Partys im Stil einer Kostümparty mit gruseligem Anhauch, aber eine in der breiten Bevölkerung verankerte Aktion ist hier nicht zu finden. Das Festangebot aus den USA scheint nicht zu verfangen. Meines Erachtens ist dies so, weil es eine starke, lebendige Tradition gibt im selben zeitlichen Kontext, die den Menschen Freude und Sinn stiftet und deren Botschaft vielleicht auch einfach freundlicher ist.

Es geht um das Teilen mit den Armen, das sich fortsetzt im Beschenken von Kindern, die mit selbstgebastelten Laternen an die Tür treten; es geht natürlich nicht zuletzt schlicht um leuchtendfrohe Kinderaugen. Das macht offensichtlich mehr Freude zu beobachten, als als Zombie oder Mumie verkleidete Gruselpersonen, die drohend vor meiner Haustür stehen und mich zu „Süßem oder Saurem“ auffordern. Ob dies so bleiben wird, oder ob sich gleichsam Halloween als Tradition noch parallel entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Derzeit aber, so kann man zumindest für Bonn sagen, verfängt das neue Fest hier nicht. In einer durch und durch von Säkularisation geprägten Gesellschaft blüht ein gleichsam christliches Fest.

Als Kirche, als Christen, können wir uns nur darüber freuen, dass dies so lebendig ist. Wir sollten uns auch nicht darüber täuschen, dass die vielen anderen Projekte dieses Volksfestes natürlich mindestens genauso prägend, wenn nicht prägender sind, als die tiefchristliche Botschaft. Gleichwohl wird diese bei allem mittransportiert. Aber lernen können wir – glaube ich – von dieser Erfahrung durchaus etwas. Nämlich, dass das Christentum mit seiner Botschaft keineswegs auf verlorenem Posten steht, es uns gelingt Sinn und Identität zu stiften.

Dies wiederum gelingt, wenn vor allen Dingen der barmherzige, der lebensbejahende, der menschenfreundliche Gott zur Sprache kommt. Wer die Botschaft des Martinstages ernst nimmt, kann nämlich schlecht beim reinen Laternenfest stehen bleiben. Die soziale Dimension des Christentums, die uns stets herausfordert, tritt ja darin hervor, dass dieser Martin dazu auffordert, selbst mit dem Fremden und zum eigenen Nachteil zu teilen. So bleiben wir als Christen mit unserer Botschaft in der Mitte der Gesellschaft. Von den Laternenumzügen lernen wir aber auch, den Mut zu haben, uns auf diese „Folklore“ einzulassen. Denn der Erfolg der Umzüge zeigt auch, dass eine in diesem Sinne missionarische Kirche, die ihre Botschaft nicht versteckt, durchaus möglich ist.

Dr. Ralph Poirel, Bonn
Leiter des Bereichs Pastoral bei der Deutschen Bischofskonferenz

 

siehe Veröffentlichung: basis-online.net