Texte und Gebete
Sehnsucht nach Gott
„Gott, du mein Gott, dich suche ich, /
meine Seele dürstet nach dir.
Nach dir schmachtet mein Leib /
wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser.“ (Ps 63,2)
Der Beter des Psalms 63 vergleicht seine Sehnsucht nach Gotteserfahrung mit der Bedürftigkeit seines eigenen Leibes: So wie der Leib unbedingt Wasser braucht, so sehnt er sich nach Gottes Nähe. Wie dürres Land nach Wasser lechzt, um wieder Leben hervorbringen zu können, so verlangt der Mensch danach, in der Nähe Gottes leben zu dürfen.
Dieses Gebet mag in einer akuten Notsituation formuliert und gesprochen worden sein. Es trifft zugleich eine Aussage über den Menschen überhaupt: In ihm lebt eine tiefe Sehnsucht nach Gott. „Seele“ bezeichnet die ganze Existenz des Menschen, der sich nach diesem Gott ausstreckt, nach ihm dürstet.
Der Mensch ist so geschaffen
Aus biblischer Sicht ist diese Sehnsucht nach Gott selbstverständlich. Denn: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,27).
Der Mensch als Abbild Gottes ist Stellvertreter und Repräsentant Gottes in der Schöpfung. Er weist als Geschöpf Gottes auf den hin, der ihn geschaffen hat. Der Mensch geht an sich selbst und seiner Bestimmung vorbei, wenn er diesen Gott verleugnet. Wenn er sich selbst verwirklichen will, dann wird das nur gelingen, wenn er sich auf seine Gottebenbildlichkeit besinnt. Er kann sich nur „menschlich“ entfalten, wenn er seinem göttlichen Ursprung treu ist, wenn er sich nach dem Willen seines Schöpfers ausrichtet.
Wenn der Mensch in sich eine ständige Unruhe spürt und ihm die Dinge der Welt letztlich nie genügen und sie ihn nie zufrieden stellen, dann trifft zu, was Augustinus sagt: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, o Gott.“ Wenn der Mensch spürt, dass er mehr haben will, als er bekommen kann, wenn er Sehnsucht fühlt nach mehr, als er sehen und mit Händen greifen kann, dann liegt das an seiner Herkunft und seiner Ausrichtung auf Gott.
Projektion der Seele?
Ludwig Feuerbach setzte 1845 in der Schrift „Das Wesen der Religion“ mit seiner Kritik an: Gott ist der in der Phantasie befriedigte Glückseligkeitstrieb des Menschen. Religion ist Illusion, ist Projektion der menschlichen Wünsche und Sehnsüchte nach außen. Was sich der Mensch in seinem Inneren so sehr wünscht, will er als Gegenüber haben. Und so erfindet er Gott. Seit Feuerbach bis heute wird diese Kritik an der Religion in verschiedenen Varianten wiederholt vorgetragen.
Aus biblischer Sicht könnte man dagegenhalten: Ja, der Mensch lebt von diesem Trieb nach Glückseligkeit, er trägt viele Wünsche und Sehnsüchte in sich – aber weil Gott ihn so geschaffen hat. Und Gott lässt diesen Drang des Menschen nicht ins Leere laufen, sondern beantwortet ihn mit seiner Nähe, Führung und Begleitung. Das, was der Mensch an Hoffnungen in sich trägt, ist keine Illusion, sondern hat Entsprechung und Antwort in der Wirklichkeit: in Gott.
Fragen :
- Welche Sehnsucht beobachte ich bei den Menschen um mich herum?
- In welchen Bereichen meines eigenen Lebens erwarte und erhoffe ich mir mehr?
- Wo und wie erwarte ich bei mir und bei anderen Gottes Antwort auf Fragen und Sehnsüchte?