Date:12. Nov 2006

Matthias Claudius (1740 – 1815)

Kunst · Theater · Literatur

Mond

Foto: H. Brantzen

Matthias Claudius schrieb das berühmte Gedicht, das später zu einem der populärsten deutschen Volkslieder wurde, im Alter von 39 Jahren. Claudius wurde als viertes Kind eines holsteinischen Pastors geboren und verbrachte seine Kindheit auf dem Land. Er war als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen und ab 1777 als freier Schriftsteller tätig. Mit seiner 24 Jahre jüngeren Frau hatte er 12 Kinder. Die letzten Lebensmonate verbrachte er schwerkrank im Haus seines Schwiegersohnes in Hamburg-Wandsbek, wo er auch verstarb.

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmerung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen? –
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsere Augen sie nicht sehn.

Wir stolzen Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, lass dein Heil uns schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Lass uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Lass uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und lass uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!