Wir erinnern uns vor Gott an das Werk eures Glaubens, an die Opferbereitschaft eurer Liebe. (1. Thessalonicherbrief 1,3)
Vor einiger Zeit war Island das jährlich wechselnde Gastland der Frankfurter Buchmesse. Was passt besser zu diesem nördlichen Land, als die Vorstellung von gemütlichen Leseabenden, bei denen man in warme Decken gehüllt alte isländische Märchen und Sagen liest?
Aber Island hat durchaus auch ganz andere Schriftsteller zu bieten, so etwa den Autor und Literatur-Nobelpreisträger des 20. Jahrhunderts Halldór Laxness. Ein erfolgreicher und ziemlich unbequemer Mann war das. Erfolgreich wegen seines unbestrittenen Talents, unbequem wegen seiner politischen Ansichten.
Halldór Laxness, der in seiner Jugend zur katholischen Kirche übertrat, diesen Weg dann wieder verließ und erst als hochbetagter Mann zur Kirche zurückfand, hat sich in einem seiner späten Werke mit einer kleinen Kirche in einem abgelegenen isländischen Tal beschäftigt. Kirchspielchronik heißt das kleine Büchlein. Und es handelt von einer Kirche, die gegen den Willen der stolzen Bauern der Gegend abgerissen wird.
„Nun war es ja schon lange her, seitdem der König die Anordnung unterzeichnet hatte, dass die Mosfellskirche zu verschwinden habe. Zu jener Zeit wurden die Einwohner des Landes angewiesen, aus Sparsamkeitsgründen überall in Island Kirchen zusammenzulegen“, heißt es da schlicht. Als nun Pröpste, Pfarrer und Gemeinderatsvorsteher ein Jahrhundert später beschließen, der Abriss müsse nun endlich in Angriff genommen werden, protestiert keiner.
Vielmehr fügt man sich und als der Pastor persönlich von Hof zu Hof reitet, um die Unterschriften für die geplante Zusammenlegung der Kirchen zu sammeln, leisten sie halbherzig und ohne Überzeugung ihre Unterschrift für das Schreiben an den Bischof. Aber einigen lässt das doch keine Ruhe, sie appellieren an den Stolz und an die Tradition und an den Wunsch, auf dem Boden der eigenen Kirche beerdigt zu werden.
Wie es nun weitergeht mit dieser Kirche, das muss man am besten selbst nachlesen. Nur so viel sei verraten: Irgendwann war der Klang der uralten Glocke wieder zu hören und man feierte wieder Gottesdienst im Mosfellsdal. Glocke und Kelch wurden bewahrt durch die Sorge einer bettelarmen alten Frau, Gudrun Jónsdóttir. Eine Frau, die vom Dichter mit leiser Ironie als emanzipierte und selbstständige Arbeiterin geschildert wird, “strenggenommen ein Kapitalist”, weil sie irgendwann auch ihr eigenes Pferd besaß.
Wenn wir heute Kirchen abreißen, dann kaum auf Anordnung des Königs, eher vielleicht aus Sorge vor herunterfallenden Steinen, vor unbezahlbaren Sanierungskosten, weil man ein teures Grundstück verkaufen möchte oder weil die Gemeinde für diese Kirche zu klein geworden oder sogar ganz ausgezogen ist. Aber manchmal braucht es Ermutigung. Und die Treue dieser wortkargen Talbewohner zu ihrer alten Kirche scheint mir beispielhaft. So endet das Büchlein nicht zufällig mit einem Ausspruch der besagten Gunna, die man auch die Große nannte: “Kann denn ein Mensch jemals einem anderen denn sich selbst treu sein?” Aber das gehört zur Geschichte vom teuren Brot. Und das ist eine andere Geschichte der Kirchspielchronik. Ihrem Kirchlein allerdings bleiben sie treu.
Ab und zu kann man in deutschen Zeitungen lesen, wie kleine Dörfer sich um ihre Kirchen kümmern. Statt Verfall oder Umbau zum Hotel gibt es auch andere Ideen.
Wer anfängt, sich selbst für den Erhalt von einem kleinen Kirchlein einzusetzen, erfährt Zusammengehörigkeit und spontane Mithilfe anderer. Oder es kommen Helfer von außerhalb.
Da gründet zum Beispiel ein Hamburger Schulleiter eine Patenschafts-Initiative und sorgt mit temporären Arbeitseinsätzen ganzer Schulklassen dafür, dass eine baufällige kleine Backsteinkirche in Mecklenburg wieder hergestellt wird – und man dort wieder Gottesdienst feiern kann. Eine tolle Idee. Und es finden sich immer Schüler, die bei guten Ideen mitmachen.
Unwillkürlich fallen mir da Franz von Assisi und das baufälligen kleinen Kirchlein in San Damiano ein. Franziskus hört dort die Stimme Jesu die ihm sagt: Franziskus, stell mein verfallenes Haus wieder her. Franziskus hat das ganz wörtlich genommen, so wörtlich wie die freiwilligen Helfer von Müsselmow. Aber Franziskus geht es auch um die geistliche Erneuerung der gesamten Kirche. Sein Weg dabei war die Liebe zu Jesus Christus, der Weg der fröhlichen Armut und eine Predigt der klaren, aber auch poetischen Worte. Man kann sagen, Franziskus lebt und predigt nichts anderes als das unverkürzte Evangelium. Und beginnt damit, indem er die kostbaren Stoffballen seines Vaters und sein eigenes Pferd verkauft und erst einmal Baumaterial besorgt.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Ordensleute noch heute oft eine ganze Portion von dieser zupackenden Art des Franziskus haben. Die Praxis ist bei ihnen nie weit von der Theorie weg. Und etliche von denen die ich kenne, können Kutte oder Ordensgewand im Nu weinberg- oder baustellentauglich machen. Sie haben schneller ihre weiten Ärmel hochgekrempelt oder eine blaue Schürze umgebunden, als man gucken kann.
Die Kirche wieder aufbauen, das gelingt durch Tun, nicht durch bedrucktes Papier. Und die vielen Kirchen Deutschlands, deren Abriss oder Umbau in den kommenden Jahrzehnten noch zur Debatte stehen wird, warten sicher auf solche motivierten Leute wie diesen Schulleiter oder einen der neuen Kirchbaufördervereine, In denen so mancher Aktive übrigens gar nicht Mitglied einer Pfarrgemeinde ist.
“Wir danken Gott für euch alle und erinnern uns vor Gott an das Werk eures Glaubens, an die Opferbereitschaft eurer Liebe und an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung” (1 Thess 1,2-3) schreibt Paulus der Gemeinde in Thessalonich, der er sich über alle räumliche Distanz hinweg verbunden fühlt. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft solche Verbundenheit über ein kleines Kirchlein auch bei uns erleben werden.
Anne Madeleine Plum
aus ihrem Büchlein: Bau meine Kirche auf! Biblisch inspirierte Alltags- und Feiertagsgedanken, Beau Bassin 2018 /Fromm Verlag. ISBN 978-620-2-44290-9