Date:10. Apr 2013

Weißer Sonntag

Was gerade geschieht

Weißer Sonntag

sr-online.de vom 09.04.2013

Wie mag es wohl einigen unserer Zeitgenossen gehen, wenn sie in diesen Tagen Scharen weiß gekleideter oder in Anzügen daher strömender Erstkommunionkinder sehen? Was wissen sie von dem, was in den katholischen Kirchen während einer „Messe“ geschieht? Es mag vielen eigenartig, vielleicht bizarr oder gar grotesk erscheinen, dass im 20. Jahrhundert Kinder in eine 2000 Jahre alte Kultfeier eingeführt werden. Was soll man dazu als aufgeklärter Mensch sagen und denken?

Achtzig bis neunzig Prozent der Familien, deren Kinder zu Erstkommunion gehen, verstehen wohl auch nicht sehr viel mehr von dem, was da gefeiert wird. Gemäß alter Familientraditionen hält man aber an einem lockeren Bezug zur Kirche fest. Und die Erstkommunion der Kinder gehört dazu.

Mir fiel in diesen Tagen ein Buch über archaische Kulte in die Hand. Hier wird berichtet, dass der griechische Geschichtsschreiber Agatharchides (208-132/31 vor Chr.) in der antiken Landschaft Boötien gefragt habe, warum nach altem Brauch in einen komplizierten Ritual hergerichtete Aale den Götter geopfert werde. Die Böotier wussten es auch nicht so recht: „…nur so viel können wir mit Sicherheit sagen, dass man die Gebräuche der Vorfahren bewahren müsse und dass man sich bei außen Stehenden nicht dafür zu entschuldigen habe“. Es gab also wohl schon immer Kultfeiern und Gottesdienste, deren Inhalt man kaum mehr verstand.

Und dann gibt es die relativ kleine Gruppe von Familien, die nach den Weißen Sonntag weiter zum Gottesdienst gehen werden. Die Kinder werden sich, wenn sie älter sind, firmen lassen, noch später vielleicht auch kirchlich trauen und schließlich ihre eigenen Kinder wieder taufen lassen. Die Tradition wird weitergetragen und gelebt.

 Man mag als Kirche diese Situation bejammern. Wichtiger wäre es, immer neu zu erklären, was mit den Feiern gemeint ist – und noch wichtiger: eine Brücke zum Leben zu schlagen.

Hubertus Brantzen