Foto: Edeltraud Linden
Aus einer Art Versenkung ist in den letzten Jahren das Wort Heimat wieder aufgetaucht. Und wie jedes neue Wort heftig umstritten. Es weckt Missverständnisse und gleichzeitig haben wir es mit einem hoch-emotionalen Begriff zu tun. Und wie alles in Deutschland wird es natürlich auch auf seine “Unschuld” hin durchleuchtet. Und da gibt es eigentlich nichts, was nicht schuldbefleckt wäre durch den Nationalsozialismus. Eine Art Erbsünde, die ja vor allem nach protestantischer Ansicht den Menschen grundlegend verdorben hat. Heimat rührt an eine Wurzelsünde auf säkular. Also aufpassen. Und doch ist Heimat das, was jeder Mensch zutiefst wünscht und zutiefst vermisst wenn er es vermeintlich oder wirklich nicht hat. So völlig verdorben ist der Mensch denn doch nicht.
So lesen wir in einem dramatischen Kurzgedicht von Nietzsche, dem Heimatlosen:
“Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein,-
Weh dem der keine Heimat hat.” (Aus dem Gedicht “Vereinsamt”).
Immer wieder, kann ich sagen, lese ich in den beiden Romanen von Christine Brückner über das Leben und Schicksal einer Gutsbesitzertocher (Maximiliane) aus Hinterpommern (in Poenichen). Die dort aufwächst und fest verwurzelt ist. Am Ende des zweiten Weltkrieges muss sie mit ihren Kindern fliehen.
Von ihr heißt es: “Maximilianes Urvertrauen heißt Poenichen. das arme Kind, hat keinen Vater und keine Mutter mehr (sagen die Leute). Aber sie hatte eine Heimat.”
“Als sich Maximiliane mit ihren vier Kindern in den Flüchtlingsstrom nach Westen einreihen muss, gibt die Erinnerung die Kraft, ihrer Familie künftig beides zu sein: Mutter und Heimat zugleich.”
Und die Einsicht: “Wer kein Zuhause hat, kann überall hin. Doch im Gegensatz zu andern Flüchtlingen wird Maxiamiliane nicht wieder sesshaft. Als sie schließlich in Kalifornien, wohin ihre Mutter und ihr Stiefvater emigrierten, über den Pazifik blickt, sagt sie: Was tue ich hier. Ich bin doch aus Poenichen…Als ihre Kinder erwachsen sind, sagt sie: “Lauft”. Um sie zu besuchen, muss sie den Globus zur Orientierung nehmen. Denn die Quinths (so der Name des Geschlechts), jahrhundertelang auf jenem fernen Poenichen zu Hause, sind nun in alle Winde verstreut….Fast sechzigjährig fährt Maximiliane ins polnische Pommern, sitzt im verwilderten Park des einstigen Herrenhauses und vollzieht nachträglich und ihrerseits die Unterzeichnung der Polenverträge… Wenn sie zurückkehrt wird auch sie seßhaft werden können.” Auf die Heimat als dem Zuhause verzichten und dadurch sie umso mehr im Herzen tragen. Und so doch wieder ein Zuhause finden, das zur Heimat wird.
Auf die Heimat verzichten und doch sie im Herzen tragen und dort verwurzelt sein. So las ich in der Zeitung den Kommentar eines türkischen Ehepaares nach dem Sommerurlaub in ihrer Heimat in der Türkei. Sie sagten: In der Türkei, dem kleinen und immer noch armen Ort ihrer Herkunft am Schwarzen Meer daheim, aber in Deutschland zu Hause.
In einem Lied heißt es: Im Himmel daheim, auf Erden zuhaus. Ja die Heimat des Herzens (so will ich sie nennen) hat etwas von Himmel. “Unser Haus inmitten der Sterne” heißt es wieder in einem anderen Lied. Inmitten der vielen Sterne einer globalisierten Welt, in der es Heimat zu bewahren und zu gestalten gilt. Und ebenso ein Zuhause zu gestalten gilt in Spannung zur Heimat, die man in sich trägt und die – und das ist dann doch wichtig – Hinweis auf eine ewige Heimat in Gott ist. Und warum auch nicht in der heimatlich-mütterlichen Gestalt der Gottesmutter Maria.
Die chilenische Schriftstellerin Isabel Alliende, die auch in Deutschland durch zahlreiche Bücher sehr bekannt ist, die sich längst von ihrer chilenischen Heimat sozusagen verabschiedet hat, oder nennen wir es “abgenabelt” hat, ja in mancher Hinsicht in Konflikt mit dieser lebt und inzwischen in verschiedenen Ländern gelebt hat, wurde gefragt, wo sie ihre Heimat habe. Ihre Antwort: Ich lebe und habe meine Wurzeln in meiner Biographie. Das ist es, kann ich da sagen. In sich selbst ruhen, in sich selbst verwurzelt sein, mit sich selbst übereinstimmen können (Selbstkongruenz). In sich selbst Heimat finden.
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Und von dieser inneren Heimaterfahrung auch eine religiöse Heimat finden: In Gott, der die Urheimat ist. Und von dort aus auch anderen Heimat sein können.
Wer so heimatlich gesichert ist, kann auch anderen dies gönnen und braucht sich nicht zu fürchten vor Menschen, die am Suchen ihrer Heimat sind. Ihres Zuhauses zunächst einmal. Um von dort her auch wieder neu die heimatlichen Wurzeln zu finden und zu stärken. Und obwohl sie vielleicht nicht mehr dort leben können und vielleicht auch gar nicht wollen.
Meine Mutter – äußerst fest verwurzelt in ihrer irdischen (und nicht weniger in ihrer himmlischen) Heimat – sang oft das Lied: “Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh, wer deckt sie mit schützenden Fittichen zu. Auch bietet die Welt keine Freistatt mehr an, wo Sünde nicht kommen, nicht anfechten kann….Nein, nein hier ist sie nicht, die Heimat der Seele ist droben im Licht.” Und doch braucht es den Punkt, an dem das Licht “von droben” leuchten kann.
Kentenich, der Gründer der Schönstatt-Bewegung: “Heimat ist der Ort, an dem der liebe Gott uns aus der Ewigkeit in diese Zeitlichkeit entlassen; ist aber auch der Ort, von dem aus wir aus dieser Zeitlichkeit in die Ewigkeit zurückkehren.”
Heimat ist vielleicht halt dann doch so etwas wie ein Phantomschmerz, wie Christian Schlüte es in seinem Buch formuliert. Und wir lesen auf der Rückseite des Buches: “Die Frage nach der Heimat ist die drängendste unserer Zeit.”
Und noch ein Buch: Am Anfang war Heimat. Dort lesen wir: “Heimat ist ein Gefühl, das vom Wiedererkennen lebt …Vom Aufwachen im Kleinen, dort, wo Verbundenheit entsteht, von Prägungen die Seele, Geist und Gemüt erfahren, von Flucht und Exil, Sterben und Tod. Von der Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat, von heimatlichen Phantasien und vertrauten Gedanken, von Nähe und Fremde.” (Eberhard Rathgeb).
In einem den Schwarzwald (meine Heimat, nicht mehr mein Zuhause) besingenden Lied heißt es: “Die lachende Ferne erschloss ihre Pracht, doch hab ich in Liebe stets deiner gedacht.” Und da die Sehnsucht “von dir überwölbt will begraben ich sein…” Wie auch immer… Zuckmeier schreibt, dass dort die Heimat ist, wo wir eines Tages gerne begraben sein würden. Als Anregung für die Fantasie, der Fantasie ist dies ein schöner Gedanke.
Dies schreibt jetzt jemand, der vor Jahren seine Doktorarbeit über das Thema Heimat geschrieben hat und sie in Buenos Aires auf Spanisch, nicht auf schwäbisch, eingereicht hat.
Wer Heimat hat, kann überall ein Zuhause finden. Ich will diesen Satz unterstreichen. Ein solcher kann auch echt menschlich mit Menschen fühlen, die das nicht haben, oder nicht wieder haben oder nie gehabt haben. Sicher etwas besonders Schlimmes.
Ich denke, unsere Pastoral könnte da einiges gewinnen, wenn sie sich diesem Thema entsprechend auch geistig-seelisch-religiös öffnet. Schließlich ist ja gerade mit Kirche ein Versprechen gemacht, dass dort Heimat zu finden sei: Materielle, leiblich-seelisch-geistig-religiöse Heimat.
Und zum Schluss noch einmal Nietzsche. Sein oben zitiertes Gedicht endet mit der Hoffnung: Wohl dem, der Heimat hat.
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