Texte und Gebete
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Gotteserfahrung und Selbsterfahrung
Viele Menschen klagen darüber, dass sie Gott nicht erfahren, dass sie trotz aller Versuche, regelmäßig zu meditieren und zu beten, nichts von Gott spüren. Ich frage sie dann immer, ob sie sich denn selbst spüren, ob sie mit sich selbst in Berührung sind. Nicht nur das Gottesbild und das Selbstbild hängen eng miteinander zusammen, sondern auch die Gotteserfahrung und die Selbsterfahrung. Wer sich selbst nicht spürt, kann auch Gott nicht spüren. Wer von sich selbst keine Erfahrung hat, wird auch Gott nicht erfahren.
Eine Frau möchte einen geistlichen Weg gehen. Aber ihr Gebet ist leer. Sie hat früher einmal Gott intensiv gespürt, aber jetzt fühlt sie nichts mehr. Im Gespräch wird deutlich, dass sie viele Bereiche ihrer eigenen Seele ausklammert. Sie möchte nicht über ihre gottlosen Seiten, über ihre Aggression und Sexualität, über ihre Jugendträume nach Familie und Kindern nachdenken. Sie meint, sie habe diese Träume längst verarbeitet und sei mit ihnen fertig. Sie möchte sich selbst in ein ganz bestimmtes Bild einer spirituellen Frau zwängen. Alles andere
hat sie vor dem Auge ihrer Seele verschlossen. Im Gespräch wird ihr klar, warum sie Gott nicht spürt. Sie ist nicht in Berührung mit der eigenen Seele. Sie hat sich selbst abgeschnitten von den weniger frommen, dafür aber umso lebendigeren Seiten ihrer Seele, von ihrer Lust zu reisen, zu malen, zu dichten. All diese Seiten hat sie ihrem spirituellen Selbstbild geopfert. Aber nun fehlen sie ihrer eigenen Lebendigkeit.
aus: Anselm Grün, Wenn du Gott erfahren willst, öffne deine Sinne, Münsterschwarzach 2001, Seite 40-41
Gotteserfahrung und die eigene Sehnsucht
In der Begleitung beklagen sich immer wieder Menschen, dass sie Gott einfach nicht spüren können. Gott habe sich zurückgezogen. Sie wollen in eine tiefere Beziehung zu Gott kommen, aber Gott erscheint ihnen sehr fern. Dann ermutige ich sie, mit ihrer Sehnsucht in Berührung zu kommen. In der Sehnsucht können sie die Spur Gottes in ihrem Herzen wahrnehmen. Und diese Spur wird sie eines Tages wieder in die Erfahrung Gottes führen. Ein Weg, mit der eigenen Sehnsucht in Berührung zu kommen, könnte darin bestehen, die Hand auf das Herz zu legen. Dann kann man wahrnehmen, was an Sehnsüchten im Herzen aufsteigt. Da ist die Sehnsucht nach Beziehung, nach einer Liebe, die das Herz durchströmt, nach dem Gott, der das Herz zu beruhigen vermag. Wenn sie auch Gott nicht spüren, so können sie in sich doch die Sehnsucht erahnen, Gottes Liebe erfahren zu dürfen. Indem sie mit ihrer Sehnsucht in Berührung kommen, spüren sie eine Ahnung von Gottes Gegenwart in ihrem Herzen. Die Sehnsucht ist der Anker, den Gott in ihre Seele geschlagen hat, um sich darin festzumachen. Sie ist die offene Tür, durch die Gott bei uns Menschen eintritt.
aus: Anselm Grün, Wenn du Gott erfahren willst, öffne deine Sinne, Münsterschwarzach 2001, Seite 56-57
Gotteserfahrung und die Begegnung mit anderen Menschen
Aus Befragungen von Kindern und Jugendlichen geht hervor, dass der Freund bzw. die Freundin ihnen “heilig”, d. h. besonders wichtig ist. So schreibt ein Mädchen: “Mein Freund ist mir heilig, er schenkt mir Vertrauen, Liebe, Zärtlichkeit, Spaß.” Und ein anderes meint: “Für mich ist das Heiligste im Leben die Liebe, denn leben und lieben gehören zusammen.” Dies gilt aber auch für uns Erwachsene, die wir ähnlich denken. Für den Schweizer Schriftsteller Robert Walser (1878-1956) ist der Mensch ohne Liebe verloren. In der zwischenmenschlichen Liebe geschieht für ihn Auferstehung von den Toten. In den “Liebesgeschichten ” heißt es: ” Wer nicht liebt, hat kein Dasein, ist nicht da, ist gestorben. Wer Lust zu lieben hat, steht von den Toten auf, und nur wer liebt, ist lebendig.” Andere gehen noch weiter und stellen eine Verbindung zwischen der zwischenmenschlichen Liebe und
Gott her, z. B. eine Erzieherin: “Der Himmel ist, wo Gott ist, und Gott ist überall dort, wo Menschen freundlich zueinander sind, und wo sie ehrlich miteinander auskommen. ” Von der Dichterin Marie Luise Kaschnitz
stammt der Ausspruch: “Es gibt Menschen, die Gott am ehesten noch in den Augen ihrer Mitmenschen suchen. Auch in den Augen derer, die ihn leugnen! Gerade in diesen, ja.” Die Menschen spüren, dass die Liebe zwischen
zwei Menschen eine tiefere Dimension aufweist, durch sie zeigt sich ihnen ein Mehr an Sinn, der innerweltlich nicht mehr aufgeht. Hier klingt die Dynamik eines Mehr an, das den Menschen über sich hinaus verweist auf das
Geheimnis der größeren göttlichen Liebe. So enthüllt die Liebe zwischen zwei Menschen eine größere Perspektive. Daher fühlen sich Liebende im Bannkreis einer höheren geistigen Macht. Nicht ohne Grund wird die Liebe auch als Himmelsmacht beschrieben.
aus: Ralph Sauer, Wo bist du Gott? Wege zur persönlichen Gotteserfahrung, Kevelaer 2002, Seite 44-45
Gotteserfahrung in der Welt und in der Natur
Wer durch diese Signale der Welt nicht auf den
Urheber hingewiesen wird, ist dumm.
Öffne darum die Augen,
wende dein geistliches Ohr ihnen zu,
löse deine Zunge und öffne dein Herz,
damit du in allen Kreaturen deinen Gott
entdeckst, hörest, lobst, liebst.
Bonaventura
Gotteserfahrung durch ein kleines Kind
Auf die Frage: ” Wann haben Sie in Ihrem Leben einmal eine Erfahrung mit Gott gemacht?” antwortete eine angehende Religionslehrerin: “In meinem Kind! ” Sie war vor kurzem glückliche Mutter geworden und staunte über das Neue, das ihr grundlos geschenkt, ihr anvertraut wurde. Sie fühlte sich vom Geheimnis des Lebens angerührt, das in ihr die Frage weckte, wo der Ursprung dieses winzigen Lebens zu suchen sei. Wer hat es ins Dasein gerufen, von woher erging der geheimnisvolle, liebende Ruf? Wer das neue Leben nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet, in ihm mehr als einen
bloßen biologischen Vorgang erblickt, der steht vor dem Geheimnis des göttlichen Gebers, dem “Geber aller Gaben”, der, wie die Heilige Schrift sagt, ein “Liebhaber des Lebens” ist.
aus: Ralph Sauer, Wo bist du Gott? Wege zur persönlichen Gotteserfahrung, Kevelaer 2002, Seite 66-67
Gotteserfahrung in der Technik und Wissenschaft
Wenn alles auf Erden Hinweis ist, dann darf dies auch für die technischen Dinge gelten. Nicht nur der Anblick eines schneebedeckten Berggipfels, der von der aufgehenden Sonne beschienen wird, oder das Erlebnis des
sternenübersäten nächtlichen Himmels während einer Seefahrt können in uns metaphysische Schauer auslösen und religiöse Empfindungen wecken. Auch technische Errungenschaften rufen unser Staunen und unsere Dankbarkeit darüber hervor, dass der Schöpfer aller Dinge den Menschen die geistigen Fähigkeiten verliehen hat, solche Dinge zu erfinden. Auch darin spiegelt sich die Größe des Schöpfergottes, der immer noch schöpferisch am Werk
ist und sich dabei der menschlichen Intelligenz bedient.
Aus: Ralph Sauer, Wo bist du Gott? Wege zur persönlichen Gotteserfahrung, Kevelaer 2002, Seite 73
Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit
Mit angehaltenem Atem, aber eben doch gesagt: Gott umarmt uns. Wie umarmt uns Gott? Wie umarmen wir ihn? – Durch die Wirklichkeit. Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit. Wir umarmen Gott durch die Wirklichkeit.
Vielleicht wird diese Botschaft zugänglicher durch ein Wort von Pater Alfred Delp SJ, das er aus dem Gefängnis in Berlin-Plötzensee in einem Brief schreibt:
“Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Dies gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Die Kunst und der Auftrag ist
nur dieser, aus diesen Einsichten und Gnaden dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung zu machen bzw. werden zu lassen. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir oft gesucht haben.”
Dieser Text ist in einem vielfachen Sinn sprechend: Einmal ist er ein beeindruckendes persönliches Glaubenszeugnis, das unter den Bedingungen von schrecklicher Haft, zum Teil Folterhaft, geschrieben wurde. Der Verdacht, es handle sich um einen frommen Traktat, aus dem Gott sozusagen von überall her “süßlich entgegenträufelt”, fallt dahin.
Weiterhin wird deutlich, dass Gott nicht “etwas neben der Wirklichkeit” ist, sondern mitten in ihr und durch sie hindurch sich offenbart. Und dann wird gesagt, dass Gottes Nähe in der ganzen Wirklichkeit, in “guten und in bösen Tagen” – wie es im Eheritus heißt – sich suchen und finden lässt.
Schließlich wird deutlich, daß Gott nicht “oberflächlich” ist, d.h. er zeigt sich erst, wo die Wirklichkeit bis zu dem “Brunnenpunkt”, da sie aus Gott hervorströmt, durchlebt, manchmal durchlitten wird. Gottesbegegnung ist immer auch Einladung zu tieferer Wirklichkeitsbegegnung.
aus: Will Lambert, Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit, Mainz 1998,, Seite 12-13