Date:18. Mai 2011

Zeitzeichen “Die neue Engelreligion”

Zeichen der Zeit

Engel Bild

 

In dem vielfältigen religiösen Suchen und Finden heutiger Menschen nimmt die Erfahrung(!) der Gegenwart von Engeln einen sehr wichtigen Platz ein. Ebenso die Erfahrung, dass sie ansprechbar sind, ja dass sie eingreifen können und vor allem auch Gebete erhören. Es handelt sich hier um eine starke und beachtlich lebendige religiöse Strömung bzw. Bewegung, die fast lautlos sich artikuliert und weiter wächst, ohne jede Organisation oder gar Hierarchie. Und dies in unserer von den Kirchen und ihren Theologen äußerst säkular und gottfern eingeschätzten westlichen und deutschen Welt.

Ein Buch von Thomas Ruster – Die neue Engelreligion. Butzon & Bercker. Kevelaer 2010 – bringt dazu einen ausführlichen Überblick und eine sehr kompetente Deutung. Der Autor, Jahrgang 1955, ist verheiratet, hat vier Kinder und ist seit 1995 Professor für Katholische Theologie mit dem Schwerpunkt Systematische Theologie/Dogmatik an der Universität Dortmund.

Er schreibt:

“Die entsprechende Literatur quillt über von Berichten über konkret erfahrene Hilfe durch Engel”. “‘Gottes Führung hält sich rund um die Uhr bereit’, das ist die Botschaft.” (25).

Engel helfen, eine Wohnung zu finden, bringen verkorkste Situationen zu einem guten Ende. Legendär fast schon ist die vielfach erzählte Erfahrung, dass Engel immer oder meistens einem Parkplätze besorgen, wenn man sie bittet. Und dann ist immer wieder die Rede von den Zeichen, die die Engel manchmal setzen.

“Diana Cooper, eine führende Gestalt der Engelreligion in den USA, berichtet, wie sie nach einem ihrer Vorträge von einem blonden jungen Mann gefragt wird: ‘Was Sie heute gesagt haben – dass jeder mit Gott und den Engeln reden kann-, meinen sie das wirklich? Jeder?’ Und in seinem Gesicht stand die unterschwellige Frage: ‘Meinen Sie, dass auch ich mit Gott sprechen kann?’ Doreens Antwort ist eindeutig: ‘Ich konnte feststellen, dass jeder unabhängig von seiner spirituellen oder religiösen Sozialisierung oder seinem Bildungshintergrund, klare Mitteilungen des Göttlichen, Mitteilungen aus spirituellen Sphären erhält, (…) direkt, ohne dass ein Priester, ein Hellseher oder (sonst) jemand für mich übersetzt’.” (13)

Engel werden als Gottesbilder, als Gottesboten wahrgenommen. das hier eben Zitierte geschieht auch in Deutschland. Man braucht nur gelegentlich in die Bild-Zeitung zu schauen. Und diese hat ja als “Betriebsphilosophie”: über das zu berichten, was die Menschen interessiert. Zu nennen sind natürlich ebenfalls die zahllosen Bücher, Vorträge und Assoziationen, die es auch hierzulande gibt.

Nicht nur über Gott reden, nicht nur zu ihm reden (beten), sondern ihn hören und vernehmen. Dies soll ja in unserer Spurensuche entsprechend eingeübt werden. Engel können dabei in einem auch allgemeinen Sinn verstanden werden als Boten Gottes, die uns etwas vermitteln. Die Mitteilung Gottes kann aber auch direkt in meinem Innern empfangen werden. Letztlich ist es immer die Seele, die eine entsprechende Deutung wagen muss oder darf, damit es zur Mitteilung des Überirdischen wird. Ein Wagnis sicher und nicht als Orakel zu missbrauchen. Aber schön, wenn ich mich von Gott angesprochen erleben darf. Dies ist allzu wenig bekannt. Aber wir dürfen uns auch nicht wundern, wenn das Handeln Gottes in der Liturgie und durch sein Wort nur intellektuell oder ethisch, aber nicht eigentlich religiös aufgefasst wird, es also nicht zur Gottesbegegnung kommt.

Mit unserer Spurensuche sind wir mitten in einem Zeittrend. Wie alle Trends in der Zeit müssen diese vielfach gereinigt werden. Aber reinigen wir nicht zuerst und solange, bis nichts mehr da ist. Zur Deutung der Engelerfahrung schreibt Ruster:

“Die Engelreligion hat den Bann gebrochen, der mehr als zweihundert Jahre über der ‘aufgeklärten’ Welt lag. Gemäß der Aufklärung sollte sich die Erkenntnis auf das Empirische, Nachprüfbare, Berechenbare beschränken… Der Himmel mit seinen Mächten war von diesem Begriff des Wissens ausgeschlossen.” (49).

Und:

“Die Engelreligion trifft das Christentum an einer empfindlichen Stelle: gerade hat die Theologie mit Mühe den Glauben entmythologisiert, da kommt ihr das ganze mythologische Material wieder entgegen, in einem sehr zeitgemäßen Gewand: alte Bekannte in neuen Kleidern, die doch in den Kirchen kein Heimatrecht mehr haben. Haben die christlichen Kirchen den religiösen Zug der Zeit verpasst?” (9).

Und näherhin:

“Der im barocken Katholizismus enthaltene Anteil von Religion, das heißt vom Umgang mit übersinnlichen und himmlischen Mächten, ist im Gefolge des 2. Vatikanischen Konzils praktisch ganz aus der katholischen Kirche ausgemerzt worden.” (58)

“Die alten Religionen, das Christentum voran, ringen um ihren Fortbestand. Ihre Zeit scheint abgelaufen zu sein. Mit ihrer schwierigen Dogmatik, ihrer aus den Jahrhunderten belasteten Geschichte und ihren aus früheren Gesellschaftsphasen stammenden Formen sind sie das Erbe einer Vergangenheit, das es schwer hat, sich in unserer Zeit zu behaupten. Aber keine Zeit kann ohne Religion sein. Und schon hat sich eine neue Religion herausgebildet, weltweit und in den Herzen unzähliger Menschen fest verankert: die Religion der Engel. Die schier unglaubliche Konjunktur der Engelliteratur ist ein Index für ihre Verbreitung.” (11)
 

Herbert King
 

NB: Ich plädiere in diesem Beitrag nicht für die Verehrung von Engeln, wohl für die Beachtung einer Zeitenstimme, mit der es zu arbeiten gilt. Vergl. dazu meine häufigen Bemerkungen zur Methode der Zeitendeutung, die ich in meine Beiträge immer wieder einstreue. Und mein Buch: Neues Bewusstsein. Spuren des Gottesgeistes in unserer Zeit. Patris Verlag, Vallendar 1995.