Date:26. Jan 2011

Zeitenstimme: Vom Ich zum Wir

Zeichen der Zeit

Rose von Jericho

 

Wertewandel in Deutschland

  Vorstellung eines Buches:

Horst W. Opaschowski: Wir! Warum Ichlinge keine Zukunft haben?. Verlag Murmann, Hamburg 2010 (221 Seiten).

Als ich das Buch kurz vor Weihnachten bei Thalia in Koblenz an der Kasse bezahlen wollte, wurde die Verkäuferin auf den Titel aufmerksam und kommentierte: Man hat uns doch bisher immer gesagt, dass nur Leute mit den stärkeren Ellenbogen sich durchsetzen und Erfolg haben können. Da müsse sie jedenfalls drüber nachdenken. Da war ich gleich schon mit dem frisch erworbenen Buch mitten im Gespräch mit der Zeit. In der gleichen Buchandlung, und in anderen, fand ich seit einigen Wochen auch das Buch (das dritte) von Von der Kunst kein Egoist zu sein. Dazu (schon etwas länger) sein Buch über Liebe. Nach seinem ersten Buch, dem Bestseller: Wer bin ich und wenn ja, wieviele (es ist zur Zeit bei der vierzigsten Auflage), also zwei ergänzende Bücher, über Gemeinschaft, Einbindung, Zugehörigkeit. Auch in der Psychologie beobachten wir eine wachsende Einsicht in die Tatsache, dass viele seelische Konflikte nicht allein individuell-autonomistisch angegangen werden dürfen, sondern systemisch-gemeinschaftftsbezogen.

Zunächst eine Vorstellung des Autors: “Prof Dr. Horst W. Opaschowski ist wissenschaftlicher Leiter der renommierten Stiftung für Zukunftsfragen – eine Initiative von British American Tabacco. Im In- und Ausland hat er sich als ‘Mister Zukunft’ (dpa) einen Namen gemacht. In Politik und Wirtschaft ist er international als Berater gefragt. Seit über 30 Jahren erforscht der Autor die Lebensgewohnheiten der Deutschen. Seine fundierten Aussagen und Prognosen – auf der Basis repräsentativer Erhebungen – stoßen auf ein starkes Interesse in Wissenschaft, Forschung und Fachöffentlichkeit. Das vorliegende Buch hat den Charakter eines Lebenswerks”. So zu lesen auf dem Einband des Buches. Und weiter: “Dem Einstellungs-, Bewusstseins- und Wertewandel der Deutschen immer ganz nah auf der Spur” erarbeitet er “Schlüsselwörter und Leitthemen”, die “ein sensibler Seismograph des jeweiligen Lebensgefühls in Deutschland” sind (17).

Der Autor sagt von sich selbst:

“Ich bin ein Familienmensch und weiß, was soziale Geborgenheit ist, weil ich das Gegenteil – die soziale Kälte – so intensiv erfahren habe. In meiner persönlichen Werthierarchie lebe ich immer nach dem Grundsatz: Familie geht vor Beruf. Der Zusammenhalt der Familie ist für meine Frau und mich oberstes Gebot… Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist inzwischen auch bei unseren Kindern eine Leitlinie des Lebens geworden. Als unlängst zu wiederholtem Male ein beruflicher Meeting-Termin auf Freitag-Abend gelegt wurde, legte unser Sohn Alexander Widerspruch ein: ‘Entschuldigt, ich habe Familie’. Erstaunte Gesichter ringsum. Soviel Selbstbewusstsein kann man sich nur leisten, wenn man selbst auch viel leistet” (11).

Wir lesen weiter:

“Das Buch ist meinen Enkelkindern Emmy, Julius, Juri und Maximilian gewidmet. Ihnen gehört die Zukunft. Sie wachsen mit dem Wertewandel von heute auf, wozu auch die Synthese von Altem und Neuem, Konservativem und Progressivem gehören” (11). “Hier deutet sich ein neuer Sinnbildungsprozess zwischen Jüngeren und Älteren an: Die Jüngeren erfahren Geschichten, und die Älteren wissen den neuen Beziehungsreichtum zu schätzen” (12).

Wandel in der Sensibilität. Dazu einige Zitate: “Inzwischen kündigt sich ein Paradigmenwechsel an, ein Wechsel von Wohlstand zu Wohlergehen: Wunschbilder eines grenzenlosen Wohllebens machen zunehmend einer realitätsbezogenen Ernüchterung Platz”(13). So sieht “ein stetig wachsender Anteil der Bevölkerung in Deutschland ‘Geborgenheit als besonders wichtigen Wert’ an… Der Anteil der Bevölkerung, “der bei Wohlstand an ‘gute Freunde haben’ denkt” ist enorm gestiegen (16). “Immerhin 88 Prozent der Bundesbürger (Männer 85 Prozent; Frauen 90 Prozent) sagen, dass für Egoismus in der Gesellschaft immer weniger Platz ist und sie den Zusammenhalt suchen. Quer durch alle Berufs-, Alters- und Sozialschichten nimmt die Überzeugung zu, dass man sich – zumal in schwierigen Zeiten – aufeinander verlassen können muss…. Die Menschen wünschen sich im Umgang miteinander wieder mehr menschliche Wärme und Zusammenhalt” (19). “Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sind ‘Ehrlichkeit’ (83 Prozent), ‘Verlässlichkeit’ (75 Prozent) und ‘Hilfsbereitschaft’ (71 Prozent) die wichtigsten Erziehungsziele” (31). “Dass nicht weiterhin Konkurrenz mehr zählt als Kooperation, Wissenschaft mehr gilt als Religion, Verstand und Rationalität mehr als Gefühl und Intuition und die Ausbeutung der Natur wichtiger ist als ihre Bewahrung” (40). “Ein neuer Typus von Solidarität entwickelt sich – jenseits von Pflichtgefühl und Helferpathos” (42). “Gemeinsam statt einsam. Für die überwigende Mehrheit der Bevölkerung (74 Prozent) halten ‘Vertrauen, Verantwortung und Verlässlichkeit zwischen den Menschen’ unsere Gesellschaft zusammen” (44). “Als Alleinlebende (r) hat man keinen Menschen, bei dem man sich aufgehoben fühlt” (49).

Zur Familie. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (90 Prozent) ‘ist und bleibt die Familie das Wichtigste im Leben” (59). “Zuhausesein im Vertrauten… Die Menschen zeigen wieder mehr Mut zu dauerhaften Bindungen” (61). “Die Familie ist wieder das Leitbild des Lebens; drei Viertel der Deutschen finden hier ihre Lebenserfüllung” (62). “Noch niemals in der Geschichte der Menschheit währten Ehen so lange wie heute” (67). “Kindererziehung und Berufsarbeit sind gleichwertig” (73). “Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (74 Prozent) sind ‘Freunde eine ‘Art zweite Familie’ (77).

“Wer soziale Geborgenheit sucht, kann dies nicht mehr dem Zufall überlassen” (80). “Comeback des guten Nachbarn. Vom Nahmilieu zum schützenden Rahmen” (83). “Je mehr Nachbarn sich mit Vornamen kennen, desto sicherer ist die Wohngegend” (90).

Eine ausgesprochene Trendwende(so der Autor) “Der genussfähige Egoist drohte den sozialfähigen Mitmenschen zu verdrängen. Ein weiter wachsender Ich-Kult würde eher ein Nullwachstum der Bevölkerung zur Folge haben. Genauso ist es gekommen” (17). “Die Erschöpfung des Ich. Der Ego-Kult überlebt sich” (31). “Für Egoismus ist in unserer Gesellschaft immer weniger Platz: Wir müssen mehr zusammenhalten” (88 Prozent der Bevölkerung, Stiftung Zukunftsfragen 2010″.

“Ich wende mich vehement gegen das maßlose Ich und das übersättigte Selbst, weil beides in Egoismus und Narzismus endet” (17).

Zusammenwirken von starkem Ich und Eingebundenheit. “Aber auf Selbst-Bewusstsein und Ich-Stärke können wir weiterhin nicht verzichten. Auch in Zukunft leben wir nicht in einer ich-losen Welt. Ganz im Gegenteil: Das Wir braucht, um sich zu entwickeln, ein starkes Ich” (15 f.).

Wer Kentenich kennt, fühlt sich an seine zentrale Zielformulierung erinnert: Neue Gemeinschaft auf der Basis von starken Persönlichkeiten. Starke Persönlichkeiten durch Einbidnung in eine Gemeinschaft.
Precht: Von der Kunst kein Egouist zu sein.

 

Herbert King