Spur Gottes. Wo ist er, der da Spuren hinterlässt? Wo sind seine Spuren?
Jeder denkt bei dieser Frage heute vielleicht an die mehr und mehr ausufernde Pandemie. Oder hat diese von vorneherein nichts mit Gott und mit dem Sinn des Menschseins zu tun? Mit all dem, was wir inzwischen gelernt haben, vorauszusetzen, wenn wir an das Leid in der Welt denken? Noch vor wenigen Jahren hätten wohl die meisten gesagt: Strafe Gottes. Und es wäre wohl auch für die meisten evident gewesen, dass es so ist. Denn der Mensch ist nun mal böse. Lieber die Strafe schon hier in dieser Zeitlichkeit als dann in der Ewigkeit in Fegfeuer oder gar Hölle. Und noch immer gilt sie in den meisten Religionen. Darf diese Antwort nicht mehr sein? Oder gilt sie noch immer, unaussprechbar, aber heimlich halt doch geglaubt bzw. gefürchtet, jedenfalls könnte sie evident sein für den „gläubigen“ und eventuell auch ungläubigen Menschen. Denn gerade diesem hat man zu allen Zeit damit gedroht. Ich meine dezidiert: Sie ist falsch.
Das Phänomen: Die ganze Welt – buchstäblich – ist mit dem gleichen Thema, den gleichen Ängsten und Schwierigkeiten und Lösungsversuchen beschäftigt, und wachsend mehr gilt dies. Trotz der anlaufenden Impfung hat sich da kaum etwas verändert. Also die ganze Menschheit eine Schicksalsgemeinschaft. Das gilt mehr denn je, nicht nur sachlich-objektiv, sondern auch dem Bewusstsein und Lebensgefühl nach.
Weiter: Die Pandemie betrifft im Tiefsten den Grundbestand dessen, wovon jede Religion ausgeht und worin sie ihren Grund hat. Hat Gott damit etwas zu tun? Wie darf der Mensch sich vor Gott erleben? Ist es halt nicht ein böser Rächergott, der dem Menschen nicht gut ist? Sind wir wirklich vielgeliebte Kinder Gottes, wie wir das wachsend mehr glauben gelernt haben?
Führt die Sache mit der Pandemie nicht vielleicht zwangsläufig zu der Überlegung: Welche Rolle spielt der Tod eigentlich in unserer Alltagsbefindlichkeit? Wir wissen natürlich: Das Leben ist Sein zum Tod. Aber ist nicht gerade an dieser Stelle ein Umlernprozess nötig? Zumal heute in einer Zeit, wo gehofft werden kann, dass das Leben immer später im Tod endet. Und warum sagen wir da Tod? Und nicht Sein zum Leben, zu einem ewigen Leben sogar. Jedenfalls zu einem Weiterleben.
So könnte die alte Erfahrung, die man mehr und mehr doch etwas weiter von sich wegschieben konnte, dass wir „Mitten im Leben vom Tod umfangen sind“ (Kirchenlied) sich dahingehend erneuert: Mitten im Leben sind wir vom ewigen Leben umfangen. Wäre das nicht die „pastorale“ Antwort für eine Religion, zumal der christlichen – auf das, was da passiert? Noch immer hören Brautleute bei ihrer Eheschließung: Verbunden, bis dass der Tod euch scheide. Müsste es nicht korrekterweise heißen – so formuliere ich es jedenfalls, wenn ich gelegentlich eine Trauung zu halten habe – bis das, was wir Tod nennen, Euch endgültig verbindet und alle Eure großen Anliegen, Freuden und Gemeinsamkeiten vollends zum Ziele führt. Und keine Träne wird mehr sein, allenfalls für eine Zeit der Prüfung und Läuterung nach dem Tod, die aber geradewegs vollends hinführen soll zu einer großen Vollendung.
Die Pandemie ein Anlass weltweit, zumal im Christentum, an einer Erneuerung unserer eschatologischen Vorstellungen und an dem damit zusammenhängenden Lebensgefühl zu arbeiten? In den letzten Jahren ging es mehr und mehr darum, unsere Jenseitsvorstellungen etwas zu „zivilisieren“ (Doktorarbeit von Michael Ebertz). Mehr und mehr und mehr kann und soll es darum gehen, die „zivilisierteren“ Jenseitsvorstellungen jetzt als erstrebenswerte Krönung eines Lebens zu sehen. Sie entsprechend real zu erleben. Ja mehr, das Leben geradezu umspült zu sehen von diesen. Also nicht Sein zum Tod (Heidegger und die Christen allgemein), sondern Sein im bereits angebrochenen und sich mehr und mehr abzeichnenden ewigen Leben. Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen, mitten wir im Leben sind von dem ewigen Leben umfangen. Sicher eine richtigere Interpretation des christlichen Ewigkeitsglaubens.
Die Taufe ist dann nicht in erster Linie ein Sterben mit Christus. Untertauchen, teilnehmen an seinem Tod, sondern eben Bestätigung, Konsolidierung des Ewigen. Und am Aschermittwoch wird man den Leuten nicht mehr sagen: Gedanke, dass Du Staub bist und zu Staub werden wirst. Das ist doch schon extremer Materialismus. Also von dem Ansatz des ewigen Lebens, das schon begonnen hat, her könnte und müsste der ganze Katechismus und die ganze Theologie eigentlich umgeschrieben werden, sozusagen neu justiert werden. Vielleicht eine Aufgabe, der in ihren vierzig Fakultäten und den übrigen universitären theologischen Lehr- und Forschungseinrichtungen nach wie vor sehr lebendigen deutschen Theologie. Ein echter Dienst an der Weltkirche und wohl insgesamt an der Weltmenschheit.