Foto: RPI Graz
Wer sind wir? Wer bin ich? Als Christen, als Deutscher, als Mann, als Frau, als Priester, als Lehrer, als Familienvater und –Mutter … Auf allen Gebieten eigentlich können wir heute ein mehr oder weniger in Frage gestelltes Identitätsempfinden und -bewusstsein vorfinden.
Gefordert ist das Kunststück, Identität nicht durch Abwertung des anderen zu gewinnen. Bekannt ist eigentlich zunächst die Definition von Identität durch Abwertung des anderen. Deutsche sind besser als andere, Christen sind die Besseren gegenüber den Muslimen, Katholiken besser als Protestanten oder eben halt umgekehrt. Solches Denken ist heute nicht mehr so ohne weiteres möglich. Man spürt den Einwand – Gott sei Dank –, dass andere aber doch auch gut sind. Vor allem seit der Anerkennung der Religionsfreiheit durch das Zweite Vatikanische Konzil ist da regelrecht etwas eingebrochen. Also ist es egal, was man ist. Und doch soll und kann z.B. mir meine Religion etwas, sehr vieles bedeuten. Aber so, dass ich den anderen deswegen nicht abwerten muss. Es braucht einen neuen Typ von Mensch. So kann man es ja wohl sagen.
Wir können da an das Bild eines Dreiecks denken. Die eine Seite dieses Dreiecks ist Selbstsein. In sich ruhende Identität. Der genannte neue Typ Mensch ist ein aus der eigenen Mitte heraus ganzheitlich sich entfaltender, origineller Mensch. Er hat ein eigenes seelisch-geistiges Lebensprinzip in sich, macht dies bewusst, schützt es und stützt seine innere Entfaltung.
Es ist ein Mensch, der in der Relativität der pluralisti¬schen Gesellschaft seine eigene Identität und seinen eigenen Stil entfalten und durchtragen kann. Er ist eine in sich verankerte und verwurzelte Persönlichkeit. Ein innerlich, seelisch freier, innerlich dynamischer, nicht starrer und zwanghafter Mensch. Er ist ein Mensch mit einem starken Innenleben, einem persönlichen, homogenen und kontinuierlichen seelisch-geistigen Innenraum. Das bedeutet: Er ruht in sich, hat Heimat in sich. Auch dieses Wort gehört zu unserem Thema „Identität“. Deswegen auch die Notwendigkeit, sich vielfach abzugrenzen, zu immunisieren, zu imprägnieren und ein Bewusstsein und Lebensgefühl des Andersseins zu entfalten. Freude am Anderssein zu entwickeln. Auch Gegensätze auszuhalten oder auch zu schätzen. Aber immer in Rückbindung an die aus dem Innern drängende Originalität und Identität. Mit der Fähigkeit, diese durchzutragen.
Die zweite Seite des Dreiecks nenne ich „aktive und passive Offenheit“. Die zweite Seite des Dreiecks bedeutet also Kommunikation, Dialog und gemeinschaftliche Zugehörigkeit. Bedeutet Mitmensch-Sein. So ist der hier beschriebene Mensch kein autonomer Individualist. Er ist fähig, sich zu öffnen, seine Ideen und Gedanken zu erklären, darzulegen und mitzuteilen, sich einzubringen. Auch Gefühle zu zeigen. Auch wenn ihn das „verletzlich“ machen mag.
Gleichzeitig ist er offen für weitere Entwicklungen seines Selbst. Er kann von anderen lernen und sich durch sie bereichern lassen, ohne seine Identität in Frage zu stellen oder gar zu verlieren oder aufzugeben. Er ist dialogfähig. Ein Mensch, der Freude hat nicht nur an seiner eigenen Andersartigkeit, sondern auch an der des andern. Vielfalt bedeutet ihm nicht Bedrohung, sondern Bereicherung. Alles zu prüfen und nicht nur das Gute, sondern speziell das ihm Gemäße zu behalten, ist eine wichtige Verhaltensweise in dem Lebensvorgang neuer-Mensch. Organisch assimiliert er Neues und entfaltet damit seine Persönlichkeit. So kann der Mensch gelassen tolerant sein, kann Meinungen und Verhaltensweisen „stehen lassen“, braucht nicht mit Abwertungen zu arbeiten. Er kann mit jedem wenigstens ein Stück des Weges gehen.
Es ist der partnerschaftsfähige, bundesfähige Mensch, der fähig und bereit ist, sich entsprechend zu binden und sich affektiv, geistig und willentlich in die Pflicht nehmen zu lassen. Und der nicht gleich um seine Eigenart zu fürchten braucht, wenn er nachgeben und sich anpassen soll. Ebenso kann er eingegangenen Bindungen und Verpflichtungen gegenüber treu sein. Ein solcher Typ Mensch wird den anderen nicht nur nicht seine Eigenart aufdrängen. Er will sogar helfen, ihre eigene Art zu leben und zu finden.
Er fordert aber auch vom anderen, eventuell auch von der öffentlichen Meinung seines Clubs, der Schulklasse usw., dass er von diesen in seinen Meinungen und seinem Verhalten respektiert wird. Nicht zulassen, dass seine Meinung verspottet wird (vom Lehrer in der Schule, vom Fernsehen) oder verfolgt wird z.B. durch ein diktatorisch-ideologisches System. Ebenso tritt er für die Meinungs- und Verhaltensfreiheit seiner Mitmenschen ein, wenn dies notwendig wird. Ein Mensch gewachsener und selbstverständlicher Zivilcourage.
So ist sein Leben gleichzeitig ein Geben und Nehmen. Ein Sich-Einbringen und Sich-Anpassen. Sich in Abhängigkeit begeben und eigenständig zu sein.
Die dritte Seite des Dreiecks ist Wille und Lust zum Einfluss. Andere beeinflussen wollen. Der Neue Mensch ist ein auf andere Menschen bezogener Mensch, der von seinem persönlichen Reichtum und seinen Überzeugungen etwas anderen geben will, sich einbringt, zur Bewusstseinsbildung beiträgt, Verantwortung übernimmt, andere motiviert, zu etwas hinführen will. Dies in aller Bescheidenheit. Doch auch mit einem Ethos, das anderen oder dem entsprechenden Gemeinwesen helfen kann und will weiterzukommen. Insofern ist er bereit und fähig, seine Talente selbst-bewusst anzuerkennen und einzubringen, auch um andere zu etwas zu „bekehren“. Gleichzeitig hat er die innere Freiheit, anderen die Initiative zu überlassen, wenn er sieht, dass es in die „richtige“ Richtung geht.
Die „reine“ Toleranz und Indifferenz, der alles gleich-gültig ist, soll es nicht sein.
So geht es um ein nicht leicht zu verwirklichendes inneres Kräftespiel von Betonung der eigenen Identität- von (aktiv und passivem) Sich-Öffnen und dem Willen zum Einfluss (Verantwortung). Die Akzente werden entsprechend immer wieder anders gesetzt werden. In jedem Fall geht es um die Gewinnung und Bestätigung von eigener Identität nicht auf der Grundlage von Abwertung des andern, aber auch nicht auf der Grundlage von Selbstabwertung.
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