Date:13. Jul 2008

Urlaubsliteratur französischer Art – Bernanos

Kunst · Theater · Literatur

Antenne

Foto: H. Brantzen
 

Herr, es ist nicht wahr, daß wir dich verflucht haben; möge doch er zugrunde gehen, der Lügner, der falsche Zeuge, Dein Widersacher aus Spott und Hohn! Er hat uns alles genommen, er hat uns ganz nackt gemacht, und ruchlse Worte legt er uns in den Mund. Aber das Leiden bleibt uns, unserer gemeinsames Teil mit Dir, das Zeichen unsrer Auserwähltheit, das wir von unseren Vätern ererbt haben und das wirksamer ist als selbst das keusche, unverderbliche Feuer …
Mit unserm Verstand ist es schlecht bestellt, unsre Leichtgläbuigkeit ist grenzenlos, und der Verführer ist schlau mit seiner goldenen Zunge … Auf seinen Lippen bekommen die vertrauten Worte den Sinn, der ihm gut dünkt, und je schöner sie klingen, desto besser führen sie uns in die Irre. Wenn wir schweigen, fprichtu er für uns, und wenn wir versuchen, uns zu rechtfertigen, verdammt uns schon unsre Rede. Dem unvergleichlich klugen Feind, der nicht zu widersprechen braucht, bereitet es Freude, aus seinen Opfern ihr eigenes Todesurteil hervorzulocken. Mögen die falschen Worte mit ihm untergehn! Nicht sie sind es, durch die das Menschengeschlecht sich ausdrückt; der Schwerzensschrei ist es, die Klage, die mit gewaltiger Mühe sich ihm entringt. Du hast uns in die Finsternis geworfen wie einen Sauerteig. Die Welt, aus der die Sünde uns verstoßen hat, werden wir Zoll für Zoll uns neu gewinnen, wir werden sie Dir wiedergeben gerade so, wie wir sie empfingen, in ihrer heiligen Ordnung, am ersten Morgen aller Tage. Miß uns die Zeit nicht zu, o Herr! Unsre Aufmerksamkeit hält nicht lange vor, unser Geist ermüdet so rasch! Unaufhörlich späht unser Blick nach allen Seiten einem Ausweg zu, der nicht möglich ist; unaufhörlich werfen Deine Arbeiter ihre Werkzeuge fort und gehen ihrer Wege. Aber Deine Barmheizigkeit wird nicht müde, und überall zeigst Du uns die Spitze des Schwertes; der Flüchtling nimmt seine Arbeit wieder auf, oder er verdirbt in der Einsamkeit … Ah, das weiß er nicht, der Widersacher, so vieles er auch wissen mag! Selbst der niedrigste Mensch nimmt sein Geheimnis mit sich, das Geheimnis des Leids ist unwirksam, o Satan! … Und ich stehe jetzt da, wohin du mich geführt hast, bereit, deinen letzten Schlag zu empfangen …
Ich bin nur ein armer, recht einfacher Priester, mit dem deine böse List nur kurze Weile gespielt hat und der wie ein leichter Stein vor deinen Füßen ist .. Wer kann es an List mit dir aufnehmen? Seit wann hast du das Gesicht und die Stimme meines Herrn angenommen? An welchem Tag habe ich zum erstenmal nachgegeben? An welchem Tag habe ich mit törichter Willfährigkeit das einzige Geschenk angenommen, das du bieten kannst – trügerisches Bild der Verlassenheit der Heiligen – , deine Verzweiflung, unausprichlich für ein Menschenherz? Du littest, du betetest mit mir, abscheulicher Gedanke! Das Wunder selbst … gleichviel, gleichviel! Entblöße mich! Lass mir nichts mehr übrig! Nach mir wird ein andrer und wieder ein andrer über die Zeiten hinweg denselben Schrei erheben, in den Händen deas Kreuz … Wir sind nicht die rosigen Heiligen mit dem blonden Bart, die man auf Bildern sieht und deren Beredsamkeit und gute Gesundheit selbst den Neid der Philosophen erwecken könnte. Nicht was die Welt sich denkt, ist unser Teil. Neben ihm ist auch die schöfperische Qual des höchten Künstlers ein leichtfertiges Spiel. Jedes schön verbrachte Leben, o Herr, legt Zeugnis ab für dich; abe das Zeugnis des Heiligen ist wie mit glühenden Zangen aus lebendigem Leib erausgerissen.

Aus Georges Bernanos: Die Sonne des Satans. Paris 1926

 

Bereits mit diesem Erstlingswerk gelang dem damals achtundreißigjährigen Autor der Durchburch zum literarischen Erfolg. Bernanos will am Beispiel seiner Romanfiguren zeigen, was christliche Existenz heißt: ein ständiger, unmittelbarer Kampf zwischen „Gott“ und dem „Satan“ im Herzen des Menschen, der von den „Heiligen“ exemplarisch erlebt wird.

Ein großes Werk der französischen Literatur – auch für den Urlaub empfehlenswert!

 

Gefunden von: Carolin Asitsch