Zeitenstimmen sind Gottesstimmen. Zeitenstimmen sind so etwas wie Symptome am Gesellschaftskörper eines Landes oder, im Fall des Papst-Besuchs in USA, am Gesellschaftskörper eines sehr wichtigen und tonangebenden Teils der westlichen Welt. Was bedeutet es für die Stimmung einer Kultur, dass sie in ihrem Vorreiterland einen Menschen wie den Papst so jubelnd – muss man schon sagen – empfängt?
Seit Johannes Paul II. haben wir uns daran gewöhnt, dass der Papst reist. Dass er nicht im Vatikan sitzt und von dort die katholische Position wie ein Fels darstellt und vertritt, sondern sich unter die Menschen auch ganz anderer Auffassungen als der spezifisch katholischen mischt, keine Berührungsängste hat. Zu diesen freundlich ist, ihre Werte hervorhebt, auch wenn sie nicht die spezifisch katholischen sind.
Katholisch ist ja das Allumfassende, das Kat-holistische, das allerdings nicht vereinnahmend Allumfassende. Und schon gar nicht richtend polarisierend, jurisdiktionell alles Kontrollierende und Beurteilende bzw. Verurteilende. Es ist das ehrfürchtig All-umfassende. Sollte es jedenfalls sein. Kann es sein, wie man sieht.
Man hat solches der katholischen Kirche lange nicht mehr zugetraut und hat gerade diese Töne vermisst. Ihr Ausschließlichkeitsanspruch schien da im Wege zu stehen.
Der neue Umgang mit dem und den Anderen bedeutet nicht Einebnung des Eigenen. Sondern auf dem Hintergrund einer neuen Sicht des Menschen kann Johannes Paul II. und jetzt sein Nachfolger Benedikt umso deutlicher die eigene Botschaft ausrichten, auch das hervorheben, was diese den jeweiligen Religionen und Kulturen geben kann. Benedikt XVI. steht auch für den Platz des christlichen Glaubens in der Öffentlichkeit und für den Anspruch, dass christlicher Glaube und Vernunft zusammengehören.
Der Papst braucht sich nicht zu fürchten, etwas vom Eigenen zu verwischen. Ja, dieses kann sogar gewinnen, im Maße es sich öffnet und von anderen auch lernt. Das so neu entdeckte, vertiefte und erweiterte Christentum kann zur Seele der planetarischen Weltkultur werden. Kann Gräben überwinden helfen, Mauern einreißen, Starres zum Fließen bringen. Es geht darum, wer die besseren Ideen hat. Allerdings auch darum, wer diese am besten lebt.
Gefragt ist eine Kirche, die nicht herrschen, sondern dienen will. Dienen den elementarsten geistigen (und auch materiellen) Bedürfnissen des Menschen, seinem Bedürfnis glauben zu können, Hoffnung zu haben, zu lieben und geliebt zu werden. Auch seinem Bedürfnis Fehler zu bekennen und verziehen zu bekommen. Der Satz Benedikts XVI. „Glaube ist schön“ hat überall in der Welt aufhorchen lassen. Ich las ihn zuerst in einer chilenischen Zeitschrift. Dort fragt der Autor: Warum hat man dies uns nicht früher gesagt? Dass der christliche Glaube schön ist, war in der Weltöffentlichkeit nicht immer so leicht zu erkennen. Viele schlimme Kriege hat das „christliche Abendland“ geführt. Und viel schlimmer: Die christliche Geschichte ist voll mit schlimmen, kaum mehr wieder gut zu machenden Abwertungen der Kulturen anderer.
Die Werte anderer anzuerkennen ist – ganz unabsichtlich – dann auch die beste Missionsmethode. Wenn wir dieses Wort hier verwenden wollen. Wenn die Botschaft gut ist, wird man sich ihr nicht so ohne weiteres verweigern.
Jesus Christus profiliert sich neu und zum ersten Mal in der planetarischen Weltkultur. Als Gestalt, die allen sagt, dass sie geliebte Kinder Gottes sind und es noch mehr werden können.
So bewegt sich der Papst in USA in Wort und Tat mit großer Unbefangenheit in einem sehr gemischt konfessionellen Land. Mit einem selbstverständlichen Verständnis von der Freiheit des Glaubens. Auch das nicht katholische Amerika bringt ihm Respekt und Zuneigung entgegen. Der Papst äußert seinen Respekt vor der „großen pluralistischen Gesellschaft“ der Vereinigten Staaten und damit der westlichen Welt. Und er nimmt vor der Weltöffentlichkeit am Gottesdienst zum Pesahfest der Juden teil.
Und es ist nicht einfach nur Höflichkeit, wenn er seiner Hochachtung für jene ungezählten Amerikaner ausdrückt, die „ihr Leben für die Verteidigung der Freiheit daheim und im Ausland geopfert haben“. Und er untermauert diese Aussage, wenn er sagt: „Die Freiheit als Geschenk des Schöpfers an alle Menschenkinder“. Damit ist keine aktuelle politische Stellungnahme gemeint. Papst Benedikt, wie sein Vorgänger, hat sich eindeutig gegen den Irak-Krieg ausgesprochen. Freiheit war lange kein so richtig gut klingendes Wort für die Kirche. Zu viel Missbrauch wurde mit ihr getrieben. Mit dem Gehorsam und der Bindung allerdings auch.
Sein Auftreten vor den Vereinten Nationen dient dem Anliegen „Umweltschutz, Klimaschutz und Menschenrechte“. Deutlich ist auch eine Kritik enthalten an Alleingängen einzelner starker Staaten.
Die US-Öffentlichkeit in ihren Medien hebt die religiös-moralische Führungsrolle des Papstes hervor. Ähnliche Reaktionen gab es nach dem Besuch des Papstes in der Türkei. Viele sehr einflussreiche muslimische Stellungnahmen lauteten, dass er der einzige verbliebene Führer der westlichen Welt, ihrer Werte und ihrer Religion ist, auf den man hören könne.
Ich schließe mit einem mir seit Jahren sehr lieben Text Kentenichs, den dieser in Form eines Gebetes bei meinem Besuch bei ihm im Jahr 1964 ausgesprochen hat.
„Wir mögen uns wehren, aber es geht durch die Zeit heute der starke Zug nach einer großen Einheit in der gesamten Welt und Menschheit. Und da ist halt wohl, auch von Gott gedacht, ein neues Menschenbild nötig, ein Menschenbild, das sich in schlichter Weise ehrfürchtig vor jedem Menschen beugt und seiner Auffassung.“
zur Zeitenstimme „Gestaltwandel des Einflusses der Kirche“ (J. Kentenich)