Date:20. Jan 2016

Trügerische Sicherheit

Zeichen der Zeit

Geknoteter Colt - Foto: Heinrich Brehm - pixelio.de

Foto: Heinrich Brehm

Nach den Übergriffen in Köln, wo Frauen in der Silvesternacht 2015 von jungen Männern sexuell belästigt und ausgeraubt wurden, scheint nichts mehr, wie es war. Ob tatsächlich die Gefahr besteht, an seinem Wohnort demnächst bedrängt oder angemacht zu werden, ist dabei nicht so wichtig. Allein die „gefühlte Bedrohung“ reicht aus. Und diese ist beträchtlich gewachsen. Ein Folge der Angst: viele Deutsche rüsten auf, gerade die Frauen.

Waffenfachhändler haben in den Wochen des Kölner Karneval Hochkonjunktur. Immer mehr beantragen den kleinen Waffenschein. Während im vergangenen Jahr rund 400 solcher Anträge in der Domstadt gestellt wurden, sind in den ersten beiden Wochen des neuen Jahres schon 300 Neuanträge bei den Behörden eingegangen. Köln ist aber überall. Die Nachfrage nach Pfefferspray, Elektroschockern und Gas-Pistolen ist in der Bundesrepublik so groß wie nie. Wie viele dieser „Abwehrmittel“ im Umlauf sind, weiß kein Mensch. Denn die Sicherheit vorgaukelnde „Schutzbewaffnung“ kann man in Baumärkten genauso erwerben wie im Internet.

Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, rät dringend vom Erwerb solcher Waffen ab, denn diese bergen ein hohes Eskalationspotential. Die Bewaffnung mache die Menschen keinesfalls sicherer, „obwohl es ihnen möglicherweise ein gutes Gefühl gibt“, so der Experte („Frankfurter Rundschau“, 16.01.2016). Im Gegenteil: die angstgetriebene Aufrüstung führt zu Gefahren im Nahbereich, die man im Vorhinein gar nicht vermuten würde.

Wer eine Waffe im Haus hat, lebt nicht sicherer, sondern gefährlicher. Darauf weist der US-amerikanische Sozialpsychologe David G. Myers hin. In den Vereinigten Staaten sind in den letzten 40 Jahren mehr als 1 Mio. Menschen (!) durch Schusswaffen getötet worden – mehr als in allen Kriegen zusammen, in denen die Amerikaner verwickelt waren. Denn nicht die Fremden verhalten sich gefährlich, sondern die Freunde. So besteht bei Waffenbesitzern ein dreifach höheres Risiko, von einem Familienmitglied oder einem nahen Bekannten getötet zu werden als von einem Unbekannten.

Zu zwei einfachen, aber oft wirkungsvolle Maßnahmen raten Experten. Wenn es möglich ist, entweder einen Angreifer wegstoßen und abhauen. Dabei soll man sich aber nicht umdrehen und vor dem Täter weglaufen, sondern an diesem quasi vorbei in die ursprünglich angestrebte Richtung rennen. Wenn Passanten herumstehen, sollte möglichst schnell Öffentlichkeit hergestellt werden, zumal die Täter selbst das oft vermeiden wollen. Rufen Sie etwa: „Sie da, im blauen Mantel, helfen Sie mir, ich werde bedroht!“

Klaus Glas