Date:08. Okt 2014

Suchmeditation

Zeichen der Zeit

Seit einiger Zeit bin ich immer wieder mal zusammen mit einem anderen Spurensucher unterwegs. Er sucht andere Spuren als ich. Zumindest sucht er anders als ich. An anderen Orten.
Am liebsten allein in Wäldern, die viel römische Geschichte atmen. „Suchmeditation“ hat er es einmal genannt. Es sei die beste Therapie, die er sich vorstellen kann gegen alles, was einem das Leben schwerzumachen vermag.

Mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Fest verwuzelt in der oft grausamen Realität, die durch die Menschen zu allen Zeiten geschaffen wurde und die in Zukunft seiner Meinung nach (sicher!?) nicht rosiger wird – ganz im Gegenteil.

Ich schaue, lausche und staune. Bin er-staunt. Fast erschüttert. Ver-wundert. Und ein bisschen angesteckt von seiner Freude an dieser seiner Art zu (über-)leben.
Und so erzählt er – durchaus begeistert, lacht von Herzen, ja herzerfrischend und scheint für so vieles ein großes Interesse, ja fast ehrfürchtiges Erkenntnisinteresse zu hegen.
Und doch: An das Gute im Menschen -so ganz allgemein und nicht nur in seltensten Ausnahmen- kann er beim besten Willen nicht mehr glauben. Und den Blick in den Himmel erheben? Hat es denn einen Sinn? Wäre es nicht eine Flucht vor dem, was um einen herum passiert? Und ist es „da“ wirklich besser? Da „kommt“ ja wohl eher ein Nichts – was auch völlig in Ordnung so wäre … eh… ist…
Ich lausche weiter, verstehe immer mal ein bisschen mehr und werde immer mehr von einer unglaublichen Traurigkeit erfasst. Aber es ist eine Traurigkeit, die eine tiefe, teife Hoffnung atmet.

Ich glaube er hielt mich – und tut es sicher -zumindest zum Teil- noch – für unglaublich naiv. Das Gute sehen, die Weite des Himmels einatmen… kann das mehr sein als Tagträumerei, die irgendwann unweigerlich von der brutalen Realität zerstört werden muss… ?
Und dann fand ich etwas:

Fernrohr -  Foto: Heike Bulle

Foto: Heike Bulle

Einen kleinen Stein. In Herzform. Ich hab schon öfter solche Herzsteine gefunden. Aber in den kommenden Wochen waren es unglaublich viele: immer und immer wieder – überall tauchten sie plötzlich auf, sogar vor seiner eigenen Haustür. „Ich glaube fast, es gibt mehr anorganische als menschliche…“ schrieb er mir dazu.

Da war sie wieder diese Traurigkeit. Darüber, dass ausgerechnet dieser Mensch  so desillusioniert zu sein scheint und scheinbar doch diese so unglaubliche Sehnsucht kennt, dieses Sehnen, das zu einer Sucht werden kann, die mir bestens bekannt ist…

 Je mehr ich ihm zuhöre, desto mehr glaube ich:
So verschieden ist unsere Suche gar nicht.

Pfeil mit Herz - Foto: Heike Bulle

Foto: Heike Bulle

Letztlich, so glaube ich, suchen wir alle das Gleiche: Diese eine Liebe, die uns am Leben hält. Die uns von innen und außen heil zu machen vermag: All unsere katastrophalen Erfahrungen, unsere schrecklichen Ängste, unsere gestorbenen Hoffnungen, alles, was uns all die Schmerzen bereitet, die unser Herz lähmt, blind und taub und steinhart macht, damit uns nicht noch Schlimmeres passieren mag.

Es geht nicht darum, die wirklich oft so grausame Realität zu leugnen oder auch nur auszublenden. Aber es muss möglich sein und immer wieder möglich werden, trotz alledem zu lieben: Sich selbst, das Leben selbst, Gott, wenn man an einen glaubt, und ja, auch die so oft unglaublich bescheuerten Menschen. Und es fängt damit an, dass man (wieder) hoffen und dann sogar glauben kann, dass es noch Gründe gibt, es doch noch (mal) zu wagen. Und wenn man an diesen Punkt kommt, dann muss man einfach etwas tun. Schon Erich Fromm sagt in „Die Kunst des Liebens“, dass Lieben eben eine Tätigkeit ist, die, wie jede Kunst, mit viel Muse(!) geübt werden muss.

Selbst fähig sein zu lieben und sich lieben lassen zu können (vom Leben, von Gott und den (bescheuerten und doch zur Liebe fähigen) Menschen): das bedingt sich. Wo wir mit dem Üben anfangen ist, so meine ich, letztlich egal. Eins bewirkt das andere. Unweigerlich. Das ist das Wunder-bare.

„Elend und Größe dieser Welt: Sie bietet keine Wahrheiten, sondern Liebesmöglichkeiten. Es herrscht das Absurde und die Liebe errettet davor!“ soll Albert Camus gesagt haben, worauf mich auch dieser ganz besondere Spurenfinder hingewiesen hat, der mit seiner ganzen Geschichte selbst eine so wunder-volle Spur ist, die mich irgendwie gefunden hat, ohne dass ich bewusst nach ihr gesucht habe. Und das ist kein Wunder, denn so funktioniert die „Suchmeditation“: Man wird gefunden.

Was dann passiert? Ich für meinen Teil bin ungewöhnlich sprachlos vor Staunen und froh. Danke.

Heike Bulle