Date:10. Feb 2008

Spurensuche im Städel-Museum

Kunst · Theater · Literatur

Ausstellung Frankfurt

Ausschnitt aus der Website der Ausstellung

Nach dem feierlichen Reigen der weihnachtlichen Festtage entschieden wir uns für ein bewusst gesetztes Kontrastprogramm: raus aus der Welt der Kirche und rein in die Welt der Kultur. Vor einem Theaterbesuch am Abend führte uns so der Weg ins Städel-Museum am Frankfurter Museumsufer, wo seit Ende November und noch bis Mitte Februar in einer Son-derausstellung ausgewählte Werke Lucas Cranachs des Älteren gezeigt werden.

Damit ist die Ausstellung im Städel-Museum einem der bedeutendsten deutschen Maler und Graphiker der Renaissance gewidmet. Neben Albrecht Dürer gehört Lucas Cranach der Ältere zu den Künstlern, die die Epoche um 1500 besonders geprägt haben. Sein Wirken fällt zudem mitten in die Zeit der Reformation mitsamt ihren vielfältigen Aufbrüchen und Widersprüchen. Die Cranach-Werkstatt befand sich in Wittenberg, wo der Künstler Hofmaler des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen war: das heißt, sie stand unmittelbar an der Wiege der Re-formation und am Epizentrum weltgeschichtlicher Ereignisse.

Der Besucher der Sonderausstellung ist zunächst einmal überrascht über den großen Andrang: An einem Werktagnachmittag im Januar hätte man nicht mit solchen Menschenmassen ge-rechnet. Alle Altersgruppen sind vertreten; viele junge Erwachsene und Familien mit Kindern im Grundschulalter durchmischen die Riege der kulturbeflissenen Senioren. Obwohl es in den Räumen sehr voll ist, herrscht kein Gedränge. Auch der Geräuschpegel ist angenehm niedrig. Die feierliche Museumsatmosphäre beeinflusst das Verhalten und Gebaren der Besucher – ein interessanter Rückkoppelungseffekt, den wir ja auch bisweilen in (erhabenen) Kirchenbauten feststellen können.

Der Rundgang durch die Ausstellung beginnt harmlos und vergleichsweise nichtssagend: Landschaftsbilder, die dem Auge keinen rechten Anhaltspunkt bieten, wenngleich die Details faszinierend sind. Cranach muss da praktisch mit der Lupe gemalt haben. Im weiteren Verlauf verdichtet sich die religiöse Kunst. Heiligenmotive und vor allem eine Fülle von Madonnen beherrschen die Szene. Hier zeigt sich freilich bald eine bedeutungsschwere Verwerfung: Die Reformation bringt unterschiedliche Wahrnehmungsmuster hervor und verändert rasant die überkommenen Sehgewohnheiten. Die protestantischen Mutter-Gottes-Darstellungen verzich-ten auf jeden Zierrat; Kronen und Heiligenscheine verschwinden von der Leinwand. Derselbe Maler, der die theologischen Verschiebungen seiner Epoche so unmittelbar aufgreift und iko-nographisch umsetzt, nimmt jedoch in keiner Weise Abstand davon, für seine altgläubigen Auftraggeber weiterhin Marienbilder mit Engelscharen um ihr Haupt und der Mondsichel unter ihren Füßen zu schaffen.

Dieser seltsame Widerstreit wird auch in den Porträts deutlich: Cranach hat der Nachwelt etli-che Lutherbilder hinterlassen, vom jungen Wittenberger Doktor mit Dreitagebart bis zu einer Darstellung des großen Reformators auf dem Totenbett. Daneben verschmähte der geschäfts-tüchtige Künstler zur selben Zeit keineswegs die Aufträge katholischer Kundschaft, darunter des Mainzer Erzbischofs Albrecht von Brandenburg, des machtpolitisch bedeutendsten Ge-genspielers Martin Luthers. An Selbstbewusstsein gebrach es weder dem Maler noch seinem Modell: In einem der beeindruckendsten Werke der Ausstellung sehen wir Albrecht von Brandenburg gekleidet in seinen Kardinalspurpur als heiligen Hieronymus in der Klause bei der Übersetzung der Heiligen Schrift. Unvorstellbar wie sich der heutige Mainzer Bischof Kardinal Lehmann historisch zurückversetzt in die Studierstube des heiligen Thomas von A-quin hinein malen ließe…

Im letzten Teil der Ausstellung treten der historische Ernst und der konfessionelle Aspekt wieder in den Hintergrund. Hier kann man „Unterhaltungskunst“ bewundern und wird ganz nebenbei Zeuge, wie Lucas Cranach der Ältere ein neues, „nördliches“ Schönheitsideal ent-wirft. Stand bis dahin das Vorbild der italienischen Malerei und mithin des mediterranen Menschen im Mittelpunkt, verschieben sich nun merklich die Proportionen – und bei weibli-chen Aktdarstellungen kommt allmählich etwas zum Vorschein, das einen die Erfindung der Barby-Puppe einige Jahrhunderte zurückdatieren lässt. Unwillkürlich fragt man sich, ob auch die weiblichen Zeitgenossen Cranachs schon unter Essstörungen und Magersucht gelitten haben mögen.

Unter dem Strich bleibt der Eindruck eines Künstlers, der ebenso Mal- wie Geschäftsgenie war; immerhin unterhielt er zusammen mit seinen beiden Söhnen und weiteren Mitarbeitern eine hochrationell arbeitende und überaus florierende Malerwerkstatt. Persönlich haben mich zwei Empfindungen eigenwillig berührt. Da leben wir in einem säkularisierten Land, und mit-ten in der Finanzmetropole Franfurt, deren Kirchen wohl weitgehend leer stehen, tummeln sich Hunderte Menschen selbstverständlich vor den Bildwerken religiöser Kunst. Diese Kunst ist schön, sie bildet – und sie ist vor allem weit weg, gleichsam entrückt. Wie irritierend dage-gen die Berührung mit dem Religiösen im Hier und Heute erlebt wird, wurde mir bewusst, als die Betrachter nach einer klassischen Bibel- oder Heiligenszene in 2D auf einmal und unver-mittelt einen jungen Mann in 3D mit Priesterkragen erblickten. Kirche, schienen ihre Blicke zu sagen, ist doch etwas aus grauer, längst entschwundener Vergangenheit, aber doch nichts, was mit unserer Gegenwart zu tun hätte!

Das andere Erlebnis befremdete mich noch mehr: Während unsere Gesellschaft sich insge-samt so gegen Gewalt und Gewaltverherrlichung verwahrt, ihre Bild- und Printmedien sorg-sam von allzu grausamen Abbildungen z.B. aus Kriegsgebieten rein hält, stehen ganze Men-schentrauben fasziniert vor einer Enthauptung Johannes des Täufers, wo jede Hautfaser, jede durchtrennte Sehne, all das in Blut schwimmend, naturalistisch exakt und detailverliebt vor-gestellt wird. Seltsames Land, seltsames Volk.

 

Jonas Adam

Website der Cranach-Ausstellung in Frankfurt >>>>