Date:08. Aug 2004

Nicht unterzukriegen …

Gebet 
 

Untergehen mußten sie,
die Dörfer von Graun und Reschen,
damit der Reschensee entstehen konnte.
Grausam:
Menschen, die ihre Dörfer verlassen mußten,
die ansehen mußten,
wie der Dorfplatz überschwemmt wurde,
wie ihre Häuser in den Fluten versanken,
wie Erinnerungen mit ins Wasser geschwemmt wurden.
Menschen haben’s überschwemmt – „den Menschen zu Nutze …“

Einzig er war nicht unterzukriegen:
der Kirchturm von Graun.

Als Touristenattraktion dient er heute,
der einstige Kirchturm von Graun.
Verrückt bis fast makaber erschien es mir,
als ich in diesem Jahr mal wieder daran vorbeifuhr
und schon einige Meter vorher das Hinweisschild fand:
Parkplatz Turmblick folgt.
Dafür war er doch nicht gebaut, dieser Kirchturm …
Oder etwa doch?

Als Zeichen weithin sichtbar,
Wahrzeichen des oberen Vienschgaus nennt man ihn.
Berühmt ist er geworden, der kleine Dorfkirchenturm.
Man wollte ihn kleinkriegen,
unterkriegen,
aber die Fluten konnten ihn nicht zerstören.
Heute ist er Blickfang, macht nachdenklich – und lädt ein zum Gebet:
nicht nur die Kirchgänger des Dorfes,
sondern 1000e von Menschen, die Tag für Tag am Reschensee vorbeifahren.

Gott,
laß mich doch das Zeichen begreifen,
daß Du niemals unterzukriegen bist,
Laß mich glauben –
auch wenn meine Welt manchmal zu zerbröckeln scheint,
wenn mein Leben von Unvorhergesehenem überflutet wird,
wenn alles unterzugehen droht –
laß mich dann glauben,
daß sich zwar vieles verändern kann,
vieles anders wird, als ich mir das so vorgestellt habe,
daß Vertrautes, Liebgewordenes vielleicht manchmal gar „überflutet“ werden muß,
damit das Zentrum – „die Spitze des Kirchturms“ – wirklich sichtbar wird.
Lehr mich vertrauen, daß wir letztlich niemals unterzukriegen sind,

weil Du niemals unterzukriegen bist!

Kerstin Schroth.