Direktor Michael Maas, Freiburg

Kalenderblatt mit dem 31. DezemberFoto: pixabay.com

Jahresbilanz

„Made my day“ so lautet ein Kanal, den ich bei Instagram abonniert habe. Da kommen allerlei Sprüche, mal mehr, mal weniger geistreich. Heute ist mir einer aufgefallen, der besonders viele Likes bekommen hatte.  Etwa 183.000 Follower hatten ihr Häckchen hinter diese Aussage gesetzt: „Wenn man zu Silvester um 23.58 Uhr und 42 Sekunden ‚Schrei nach Liebe‘ von den Ärzten anschaltet, dann ist das letzte Wort, welches das alte Jahr 2020 noch hört, ARSCHLOCH.“

Es dürfte darin zum Ausdruck kommen, was viele über das vergangene Jahr denken. Unvorstellbar, was wir in dieser kurzen Zeitspanne erleben mussten. Die Pandemie, die uns seit Mitte März in Beschlag nimmt, hat unser Leben verändert.

Für die einen mag es „nur“ lästig gewesen sein, Masken zu tragen, Abstand zu halten und überall Desinfektionsmittel zu nutzen. Zahlreiche Veranstaltungen konnten nicht oder nur sehr reduziert bzw. verändert stattfinden. Ärgerlich.

Für andere steht hingegen ihre wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel. Im medizinischen Bereich sind viele schon seit Monaten bis an die Grenze der Belastbarkeit gefordert. Mittlerweile sind mehr als 30.000 Menschen in unserem Land an Covid 19 gestorben. Bei unzähligen mehr hat die neue Krankheit bleibende Schäden hinterlassen.

Welche „Folgeschäden“ darüber hinaus bleiben, ist noch gar nicht richtig absehbar. Vor allem Kinder haben viel von ihrer Fröhlichkeit und Unbeschwertheit verloren. Jugendliche leiden darunter, dass sie sich nicht mit Gleichaltrigen treffen können.

Es gibt genügend Gründe, um mit den „Ärzten“ das Jahr 2020 musikalisch gebührend zu verabschieden.

Es kommen mir aber auch Zweifel. War alles nur schlecht? Können wir das als Christen überhaupt sagen – schließlich haben wir in diesem Jahr wie sonst auch die Zeit aus den Händen Gottes empfangen?

Die Zweifel kommen mir allerdings nicht nur, weil es sich nicht schickt, sondern auch, weil ich anderes mitbekommen habe. Ein Ruheständler erzählte mir, dass er die Natur so intensiv wie noch nie erlebt hat. Kinder haben davon berichtet, wie sie als Familie viel mehr gemeinsam unternommen haben und wie ihnen die sonntäglichen Wanderungen im Schwarzwald Spaß machten. Und trotz so vieler Einschränkungen bin ich auch selbst dankbar für diese Zeit, die mich zu einer Entschleunigung geführt hat, die meinen Leben letztlich gut tat. Der verordnete Verzicht hat – nicht nur mir – erstaunlich viel gebracht. War es vielleicht einfach notwendig, dass etwas kommen und uns alle bremsen musste?

Natürlich weiß ich auch um genügend Dinge, die definitiv nicht gut gelaufen sind: Einschränkungen, die nur weh getan haben. Ich ahne, dass das noch recht lang so bleiben wird. Und doch ist es auch 2020 zum Jahreswechsel sinnvoll, mit einem Gedanken des Apostel Paulus auf die vergangene Zeit zurückzublicken: „Prüft alles, und behaltet das Gute.“ (1 Thess 5,21)

Das ist hilfreich, um gut voranschreiten zu können. Dazu gehört, das genau zu betrachten, was gewesen ist. Es eingehend zu prüfen. Dabei wird man immer feststellen, dass es Gutes und Schwieriges gegeben hat. Um weiter zu gehen, ist es sinnvoll, sich auf das Gute auszurichten und in die kommende Zeit mitzunehmen. Wer das tut, wird feststellen, dass dazu noch etwas anderes gehört, was Paulus in diesem Kontext ebenfalls vorschlägt: „Dankt für alles; denn das will Gott von euch.“ (1 Thess 5,18) Darin liegt weit mehr Kraft als in irgendwelchen markigen Worten. So witzig der Spruch auf Instagram ist: Ich kann nicht einstimmen. Dafür waren so viele Erfahrungen, die ich machen durfte, viel zu wertvoll. Mit ihnen will ich gerne weiter gehen. Und davor für das Gute aus dem vergangenen Jahr danken. Beim Geber aller Gaben, bei Gott. Aber auch bei denen, die für so viel Schönes ganz konkret gesorgt haben.

Direktor Michael Maas
Leiter des Zentrums für Berufungspastoral, Freiburg

siehe Veröffentlichung: basis-online.net