Direktor Michael Maas, Freiburg

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Die Wahl

Während ich diese Zeilen schreibe, gehen die Menschen in den USA gerade zur Wahl. Seit geraumer Zeit wird darüber vielfach berichtet. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, auch bei uns. Manchmal hat man fast das Gefühl, als wären wir selbst wahlberechtigt. Trump gegen Biden. Das elektrisiert. Natürlich auf der anderen Seite des Atlantiks, aber auch bei uns.

Natürlich, die USA sind nach wie vor für die gesamte westliche Welt leitend. Und deshalb ist es auch richtig, dass dies in der Berichterstattung bei uns eine Rolle spielt. Und doch habe ich den Eindruck, dass diese Wahl medial eine Dimension angenommen hat, die unserer Realität nicht gerecht wird. Warum das so ist, darüber lässt sich letztlich nur mutmaßen. Und doch habe ich eine Vermutung.

Wir haben mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump jemanden, der unglaublich polarisiert. Der sich so verhält, wie man das von einem hohen Politiker gerade nicht erwarten sollte. Von Anfang seiner Präsidentschaft an – man erinnere sich an seine Aussagen über die Zahl der Menschen, die an seiner Amtseinführung dabei waren – lügt er munter drauflos. Er hat eine Sprache, die nicht staatsmännisch ist und beleidigt. Er zeigt ganz ungeniert, dass es ihm mindestens so sehr um das eigene Geltungsbewusstsein geht, als um die Menschen, für die er gewählt ist.

Dass wir über jede seiner möglichen und unmöglichen Auslassungen zu den verschiedensten Themen hören, soll uns auch suggerieren: Wir sind besser als der. Wir schauen, wie ich meine, aus dem gleichen Grund so gebannt auf diesen Mann, weshalb auch das Dschungelcamp so hohe Einschaltquoten erzielt. Es soll uns das Gefühl vermitteln, dass wir ihm überlegen sind.

Deswegen werden auch alle Erfolge seiner Politik – die es durchaus gibt – in der Regel negiert. Anders als der Friedensnobelpreisträger Barack Obama hat Donald Trump keinen Krieg begonnen, überraschend sogar den Friedensprozess im Nahen Osten wieder angestoßen. Vor Corona hatte er die amerikanische Wirtschaft in Schwung gebracht. Usw.

Ja, es gehört zu seinem Konzept, radikal auf sich zu schauen. Das ist oft nur schwer erträglich. Und es polarisiert. Das geht sogar soweit, dass man Befürchtungen haben muss, dass es nach einem unpassenden oder uneindeutigen Wahlergebnis in den USA zu Ausschreitungen kommen könnte.

Es gehört allerdings auch zur Wahrheit, dass diese Polarisierung und das radikale Durchsetzen der eigenen Vorstellungen auch von der anderen politischen Seite vorangetrieben wurde. Woran liegt das? Grob gesagt, an der enormen Entwicklung von Wissenschaft und Forschung. Dadurch bedingt gibt es die einen, die mit wachsender Geschwindigkeit weiter voran wollen und dabei immer weniger bereit sind, diejenigen mitzunehmen, denen das zu schnell geht. Und da sind diejenigen, die immer deutlicher artikulieren, das nicht mitzumachen.

Diese Entwicklung gibt es auf der ganzen Welt. Überall dort, wo es das Mehrheitswahlrecht gibt, erscheint sie aber noch verschärft und sorgt für Entwicklungen, die man kaum für möglich gehalten hätte. Für den Brexit in Großbritannien oder für einen Präsidenten wie Donald Trump.

Was ist also zu tun? Das Wichtigste scheint mir für die USA wie auch für uns in Europa, dass wir als Christen für unsere Regierenden beten. Gerade in diesen schwierigen, unübersichtlichen Zeiten, noch verschärft durch Corona, ist es unerlässlich, dass wir Gott all jene ans Herz legen, die in der Leitung unserer Länder so viel zu leisten haben.

Und dann können wir aber auch selbst etwas dafür tun, dass sich die Polarisierung in der Gesellschaft nicht verschärft. Nicht, indem wir unsere eigene Position aufgeben und verwaschen würden. Das ist nicht notwendig und auch nicht richtig. Sondern indem wir bereit sind, den anderen trotz einer gegenteiligen Ansicht wertzuschätzen. Das ist unglaublich schwierig. Wir sind als Kirche in diesem Bereich gerade selbst gefordert und bisweilen scheinbar auch überfordert. Der synodale Weg steht dafür exemplarisch.

Umgekehrt können wir, wenn es uns gelingt, voller Wertschätzung für den anderen die eigene Position zu vertreten, gerade damit ein Beispiel geben und zeigen, dass der andere nicht deshalb abzulehnen ist, weil er eine andere Ansicht hat. Als Christen wären wir dafür prädestiniert. Wenn es uns gelingt, eine Streitkultur etablieren, die sich von derjenigen des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs unterscheidet, wäre das ein echtes Zeichen.

 

Direktor Michael Maas
Leiter des Zentrums für Berufungspastoral, Freiburg

siehe Veröffentlichung: basis-online.net