Date:08. Apr 2007

Lohngerechtigkeit

Zeichen der Zeit

Reinemachefrau

 

„Wir berühren im Anschlusse hieran eine Frage von sehr großer Wichtigkeit, bei welcher viel auf richtiges Verständnis ankommt, damit nicht nach der einen oder der anderen Seite hin gefehlt werde. Da der Lohnsatz vom Arbeiter angenommen wird, so könnte es scheinen, als sei der Arbeitgeber nach erfolgter Auszahlung des Lohnes aller weiteren Verbindlichkeiten enthoben. Man könnte meinen, ein Unrecht läge nur dann vor, wenn entweder der Lohnherr einen Teil der Zahlung zurückhalte oder der Arbeiter nicht die vollständige Leistung verrichte, und einzig in diesen Fällen sei für die Staatsgewalt ein gerechter Grund zum Einschreiten vorhanden, damit nämlich jedem das Seine zuteil werde.
Indes diese Schlussfolgerung kann nicht vollständigen Beifall finden; der Gedankengang weist eine Lücke auf, indem ein wesentliches, hierher gehöriges Moment übergangen wird. Es ist das folgende: Arbeiten heißt, seine Kräfte anstrengen zur Beschaffung der irdischen Bedürfnisse, besonders des notwendigen Lebensunterhaltes. ‚Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen’. Zwei Eigenschaften wohnen demzufolge der Arbeit inne: sie ist persönlich, insofern die betätigte Kraft und Anstrengung persönliches Gut des Arbeiters ist; und sie ist notwendig, weil sie den Lebensunterhalt einbringen muss… (…) Wenn also auch immerhin die Vereinbarung zwischen Arbeiter und Arbeitgeber, insbesondere hinsichtlich des Lohnes, beiderseitig frei geschieht, so bleibt dennoch eine Forderung der natürlichen Gerechtigkeit bestehen, die nämlich, dass der Lohn nicht etwa so niedrig sei, dass er einem genügsamen, rechtschaffenen Arbeiter den Lebensunterhalt nicht abwirft. Diese schwerwiegende Forderung ist unabhängig von dem freien Willen der Vereinbarenden. Gesetzt, der Arbeiter beugt sich aus reiner Not oder um einem schlimmeren Zustande zu entgehen, den allzu harten Bedingungen, die ihm nun einmal vom Arbeitsherrn oder Unternehmer auferlegt werden, so heißt das Gewalt leiden, und die Gerechtigkeit erhebt gegen einen solchen Zwang Einspruch.“

Zugegeben, die Sprache klingt veraltet und die Lebens- und Arbeitsbedingungen haben sich seit Ende des 19. Jahrhunderts bis heute drastisch geändert. Und doch ist der Kern der Überlegungen aus Abschnitt 34 der ersten großen Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ von Leo XIII. aus dem Jahre 1891 hochaktuell: Ein Lohn ist nicht schon dann gerecht, wenn er auf einer freien Vereinbarung beruht, sondern erst dann, wenn er den Lebensunterhalt des Arbeiters / der Arbeiterin tatsächlich sichert!

Das in der aktuellen politischen Diskussion um Mindestlöhne einmal deutlich zu vernehmen, würde nicht nur mich freuen!

Wilfried Röhrig 04 / 2007