Kriegskinder

Zeichen der Zeit

Buchcover

Foto: Buchcover

Vor zwei Jahren rezensierte ich ein Fachbuch mit dem Titel  „Vaterlosigkeit in vaterarmen Zeiten. Beiträge zu einem historischen und gesellschaftlichen Schlüsselthema“. In dem Sammelband porträtiert Karin Weglage, Redakteurin bei der Münsteraner Kirchenzeitung Glaube + Leben,  zwei Männer, Vater und Sohn. Hartmut Alphei, der Vater, hat seinen eigenen Vater nie richtig erlebt.  Vier Jahre war er, als Wilhelm Alphei im Zweiten Weltkrieg fiel. Er gehört damit zu den geschätzten 25 Prozent der zwischen 1930 und 1945 geborenen Jungen und Mädchen, die kriegsbedingt vaterlos aufwuchsen. Vor einigen Jahren hat Hartmut begonnen, sich damit auseinanderzusetzen,  und ist in seiner Biografie den Spuren der eigenen Vaterlosigkeit gefolgt. Er begegnet zwei Wissenschaftlern, die sich mit diesem Thema beschäftigen, und macht bei einer Fernsehdokumentation mit. Dadurch gewinnt er einen neuen Blick auf sein Leben. Das  hat Folgen für die Beziehung zu seinem Sohn Steffen. Und auch dieser lernt dadurch, seinen Vater und seine eigene Beziehung zu ihm besser zu verstehen: „Erstmals verstand ich, warum mein Vater manchmal mir gegenüber so eine emotionale Distanz einnahm.“ Und sagt trotzdem: „Er soll nicht denken, dass er ein schlechter Vater war.“

Am 8. Mai 2015 genau vor siebzig Jahren endet der 2. Weltkrieg. Spät, aber nicht zu spät sind in den letzten Jahren die Erfahrungen und Lebensgeschichten der Kriegskinder wie Hartmut Alphei in den Fokus der Forschung, aber auch der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt.  Das bekannte Buch von Sabine Bode zur „vergessenen Generation“ liegt beispielsweise 2015 in 23. Auflage (!) vor. Ein zentraler Schlüssel zum Verständnis dieser Generation ist die erlebte und erlittene Vaterlosigkeit.  Diese Erfahrung hat sich tief in die individuellen Lebensläufe eingegraben, aber auch sozialpsychologisch und kulturell in der deutschen Nachkriegsgesellschaft markante Spuren hinterlassen. Diese wirken bis heute nach. Wichtig, dass die Kriegskinder jetzt ihre Geschichten erzählen – gerade auch als bewegendes Zeugnis gegen den Irrsinn des Krieges.

Andreas Ruffing