Date:23. Jul 2006

Kleine Mathematik

Kunst · Theater · Literatur

Joch

Foto: H. Brantzen

Zwei Gedichte, die ich in der Stadtbahn Stuttgart abgeschrieben habe, weil sie mir besonders gefielen. Sie reden vom Leben der Menschen und seinen Beziehungen und suchen dem Rätsel etwas auf die Spur zu kommen. Spurensuche eben.

Herbert King
 

Wieviel kann ein Mensch ertragen,
          wenn er allein ist?

Wieviel ertragen zwei Menschen,
          halbiert sich die Last
          bleibt sie gleich, wird sie größer?

Wird zu dritt die Belastung
          nicht neunmal mehr, bleibt sie
          gleich oder ist sie
          durch drei zu teilen?

Wie steht es mit vier, zehn,
          tausend Menschen?

Ab welcher Zahl ist einer
          wieder allein
          und wieviel erträgt er?

Christoph Wilhelm Aigner *1954
In: Weiterleben. Gedichte. Otto Mueller Verlag Salzburg
 

Eine sterbliche Hülle,
so heißt es,
aber was war drin?
Die Psyche,
sagen die Psychologen,
die Seele,
die Seelsorger,
die Persönlichkeit,
sagen die Personalchefs.

Dazu die Anima,
die Imago, der Dämon,
die Identität, das Ich,
das Es und das Überich.

Der Schmetterling,
der sich aus diesem Gedrängel
erheben soll,
gehört einer Art an,
von  der wir nichts wissen.

Hans Magnus Enzensberger