Katholizismus

Kunst und Kultur

Cover des Buches

John Allen, Das neue Gesicht der Kirche: Die Zukunft des Katholizismus.
Übersetzt von Bernardin Schellenberger

Wie wird die Zukunft der katholischen Kirche aussehen? Dass die Zukunft der Religionen nicht ein Randthema sein wird, zeigt der Blick in die Tagespresse längst. Und dass die katholische Kirche keineswegs eine dem Untergang geweihte Randgruppe ist, scheint sich auch herumzusprechen. Wer etwas genauere Zukunftsprognosen sucht, oder auch präzise und überraschende Analysen der gegenwärtigen Situation der Kirche, dem sei John Allens Buch nachdrücklich empfohlen. Die deutsche Ausgabe ist im Moment leider vergriffen, eine Neuauflage hoffentlich zu erwarten.

Zehn Trends, die die Kirche entscheidend prägen werden, sieht der Mitherausgeber des Boston Globe, Vatikan-Korrespondent und Autor John L. Allen:  1. Sie wird in Zahlen und Ämtern noch deutlicher Weltkirche sein.
2. Ein evangelikaler Katholizismus setzt sich zum Ziel, katholisches Denken und katholische Praxis als persönliche Entscheidung, nicht als kulturelles Erbe, in unsere Gesellschaft einzubringen.
3. Eine Auseinandersetzung mit dem Islam, die sowohl zu verstärkter Apologetik als auch zu einer neuen theologischen Einschätzung führen kann.
4. Die neue demographische Situation wird auch zu einer neuen Schwerpunktbildung kirchlicher Aufgaben führen.
5. Es wird neue kirchliche Rollen für Laien geben, von denen ein ungewöhnlich hoher Anteil von Frauen wahrgenommen werden wird,  zugleich aber ein stärker sakramentales Priesterbild.
6. Die biotechnische Revolution wird für ein stärkeres Interesse an der Moraltheologie innerhalb der Kirche sorgen und zugleich werden katholische Alternativen in bioethischer Forschung, im Gesundheitswesen und in anderen Bereichen zunehmen.
7. Die Globalisierung, die „Mutter aller Megatrends“ , könnte möglicherweise zu einer Renaissance der vatikanischen Diplomatie führen, aber wohl auch eine „Cyber-Spiritualität“  und ein „Cyber-Brevier“ hervorbringen.
8. Die Umweltproblematik wird für ein stärkeres Umweltbewusstsein sorgen. Ein päpstlicher Rat für Umweltfragen, Zufluchtsstätten für Umwelt-Flüchtlinge und die Herausbildung einer Spiritualität der Einfachheit könnten unmittelbare Folgen sein.
9. Eine im Entstehen begriffene Multipolarität der Staatengemeinschaft werde zum Aufschwung des interreligiösen Dialogs, für eine Stärkung des Ökumenismus und einer stärkeren Forderung nach Inkulturation sorgen.
10. Die als Defizit empfundenen Züge der traditionellen katholischen Kirche, Klerikalismus, Festhalten an überholten Lehren, Distanz zu den Menschen, ein Mangel an Ekstase und direkter Gotteserfahrung, seien mitverantwortlich für  die Hinwendung breiter Gruppen des Katholizismus zu den Pfingstlern. Als Antwort auf den „Pentekostalismus“ vermutet  John Allen eine Verstärkung der katholischen Apologetik, auf politischem Feld eine pragmatische Allianz mit Gleichgesinnten (z.B. auf dem Gebiet der Pro-Life-Arbeit), eine stärkeres pastorales Engagement katholischer Seelsorger,  durchaus nicht unbedingt homogene Bemühungen im Wissen um die Schlüsselrolle von Musik im Gottesdienst und nicht-territoriale Pfarrei-Strukturen nach Art von „Personalprälaturen“.

Wie prophetisch Allen (bei allem Faktenreichtum) sein kann, sieht man auf faszinierende Weise an folgender Zukunfts-Vision aus dem Erscheinungsjahr 2009. Allen stellt sich dort einen möglichen Papst aus Asien oder Lateinamerika vor: „Ein solcher Papst könnte sich auch in einer derartigen Umgebung genügend unbehaglich fühlen, um zu beschließen, die päpstliche Residenz in schlichtere Räume in einem anderen Teil der Vatikanstadt zu verlegen…“.

Die schönste und versöhnlichste seiner  Visionen nennt er den von ihm erhofften elften Trend: Die Heiligkeit der Kirche. Dieser sei vermutlich der folgenreichste von allen.

Anne-Madeleine Plum