JOSEPH RATZINGER – BENEDIKT XVI

Buch: Kardinal Ratzinger

Zeichen der Zeit

JESUS VON NAZARETH

Das Jesus-Buch von Benedikt XVI, ein (mächtiges) Zeitzeichen

Ein mächtiges Zeitzeichen können wir das neue Buch von Papst Benedikt nennen. Unübersehbar ist es in unserer, auch säkularen Kultur gegenwärtig. So wenn zum Beispiel in der Frankfurter Banhnhofsbuchhandlung eines der großen Schaufenster mit über dreißig Exemplaren dieses Buches weithin sichtbar ausgestattet ist. Und wenn wir bedenken, dass um die 450 000 Exemplare in deutscher Sprache allein ausgeliefert wurden. Insgesamt ist das Buch in 22 Sprachen übersetzt. Was läuft da ab? Das Buch kostet immerhin 24 Euro. Weltbestsellerverdächtig wird es bereits genannt. Insgesamt läuft ja Benedikt XVI. dem Dalai Lama inzwischen deutlich den Rang ab.

Den einen oder anderen Zeitzeichen-Aspekt des Buches und seiner Rezeption will ich nennen. Der eine: Dass ein Papst ein solches Buch schreibt und dabei bekennt, dass er “zu diesem Jesus-Buch… lange innerlich unterwegs gewesen” (S. 10) ist. Und dass es “in keiner Weise ein lehramtlicher Akt ist, sondern einzig Ausdruck meines persönlichen Suchens ‘nach dem Angesicht des Herrn’ (Vergl. Psalm 27, 8). Es steht daher jedermann frei, mir zu widersprechen.” (22) So hat noch kein Papst in den letzten Jahrhunderten oder überhaupt in der Geschichte jemals geredet. Enzykliken und sonstige päpstlichen Dokumente wurden/werden immer stets mit der Aura, das man da nicht widersprechen darf, umgeben. Eine Art Neuformulierung des Unfehlbarkeitsanspruchs.

Eine andere Auffälligkeit. In der Literaturliste werden katholische und evangelische Exegeten einfach alphabetisch eingeordnet genannt, ohne jeweils zu kennzeichnen, wer evangelisch oder katholisch ist. Gut wissenschaftlich, gute Tradition vor allem der deutschen theologischen Wissenschaft. Aber dass ein Papst dies tut, ist doch interessant.

Weiter, und damit komme ich zur Hauptfrage: Im Stern und anderen Publikationen lese ich die Aussage bzw. Frage: Damit ist entschieden, dass das Jesus-Bild der Evangelien das wirkliche ist und nicht das der historisch-kritischen Methode. So behauptet es ja auch Benedikt, als Papst?, als Wissenschaftler allein?, als theologisch gebildeter Christ, als Joseph Ratzinger (beide Namen stehen als Verfasser auf dem Buch)?

Manches an historisch-kritischer Methode wird vorausgesetzt und auch ausdrücklich aufgegriffen. “Ich hoffe, dass den Lesern aber deutlich wird, dass dieses Buch nicht gegen die moderne Exegese geschrieben ist, sondern in großer Dankbarkeit für das viele, das sie uns geschenkt hat und schenkt.” (22)

Und doch(?!) lesen wir: “Für meine Darstellung Jesu bedeutet dies vor allem, dass ich den Evangelien traue. Natürlich ist alles das vorausgesetzt, was uns das Konzil und die moderne Exegese über literarische Gattungen, über Aussageabsicht, über den gemeindlichen Kontext der Evangelien und ihr Sprechen in diesem lebendigen Zusammenhang sagen. Dies alles -so gut ich konnte- aufnehmend, wollte ich doch den Versuch machen, einmal den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als den ‘historischen Jesus’ im eigentlichen Sinn darzustellen. Ich bin überzeugt und hoffe, auch die Leser können sehen, das diese Gestalt viel logischer und auch historisch betrachtet viel verständlicher ist als die Rekonstruktionen, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten konfrontiert wurden. Ich denke, dass gerade dieser Jesus – der der Evangelien – eine historisch sinnvolle und stimmige Figur ist.” (20 f.) Die massive Rezeption des Buches also eine Art Volksabstimmung des Glaubensbewusstein der Kirche?

Es ist keine Frage, wer diese gewinnt. Der Papst kann, auch in der wissenschaftlichen Exegese, mit dem weltweiten Trend “hin zum Buch” rechnen, der mehr und mehr die allzu analytischen Vorgehensweisen der Schulen der letzten Jahrzehnte ablöst oder mit dieser sogar regelrecht abrechnet. Benedikt greift ihre Ergebnisse auf und doch überwindet er sie. Schiebt er sie im Grunde genommen einfach beiseite? Er ist Vollender und gleichzeitig Überwinder der neueren Theologie, aus der auch er selbst kommt und bewusst auch kommen will.

Inwieweit haben die Schulen der letzten Jahrzehnte nicht auch die Jesus-Gestalt zerstört? Ist es -tiefenpsychologisch gesehen- nicht auch verräterisch, dass als zentrales Zeichen der Christusverehrung in unseren Kirchen nur der ausgemergelte, verwundete, tote Christus hängt und alle anderen Bilder verdrängt hat?

Ist, nachdem zuerst das Marienbild aus dem Herzen der Christen, vor allem unseres Landes, herausgedacht und herausanalysiert wurde, nicht etwas Ähnliches mit dem Jesus-Bild geschehen? Die vielen Überlegungen der Exegeten blieben ja nicht im stillen Kämmerlein der Wissenschaftler, sondern wurden mit unermüdllichem Eifer, Fleiß und Sendungsbewusstein in Vorträgen und vor allem im Religionsunterricht in breiteste Kreise gebracht. Ich meine, ich müsste dies in diesem Zusammenhang, wo es um Zeitzeichen geht, so einfach einmal sagen, so sehr auch ich mich als Theologe definiere und fühle.

Damit will ich nicht sagen, das das Buch Ratzingers in allem das letzte Wort sein muss. Das will er ja ausdrücklich nicht sagen mit seinem Buch. Und auch ich halte etwas den Atem an und frage, ob die Ergebnisse und Fragestellungen der letzten Jahrzehnte nicht doch ernster genommen werden müssten und diese noch mehr oder überhaupt in eine Gesamt-Theorie des biblischen Wortes als einem Wort des irdischen und auferstandenen Christus in einem eingebunden werden müssten. Also in einen Inspirations-Begriff, der das Sprechen Christi im Geist darstellt. Ein Sprechen, das an seinem (irdischen) Sprechen vor seiner Auferstehung anknüpft. Wo aber nicht mehr im einzelnen rekonstruierbar ist, was genau mehr vom einen oder mehr vom anderen Teil kommt. Ganz abgesehen davon, dass das Wichtigste an Christus, sowieso erst nach seinem Tod stattfand (Auferstehung, Geistsendung, Anwesenheit im Geist). So hat ja Paulus konsequenterweise die Einzelheiten des “irdischen” Jesus eher unterbewertet.

Man kann gespannt sein, wie der zweite Band ausfallen wird, wenn er je erscheint. Es sind dort so sensible Themen, wie die Historizität und Theologie der sogenannten Kindheitsgeschichten noch zu behandeln. Damit auch das ganze Marienthema. Ebenso die Frage nach den Wundern, nach Tod und Auferstehung und ihrer Heilsbedeutung. Und ebenso – denke ich – noch vertieft das Thema des Selbst-Bewusstseins Jesu. 

Herbert King