Ein Virus, der alles beherrscht. Das Thema Pandemie beherrscht in diesen Zeiten die ganze Welt in einer auffallend starken Weise. Viel Weises und weniger Weises wird dazu gesagt und geschrieben. Die Grunderfahrung: Sie verändert unser Lebensgefühl, und auch nach der Pandemie wird nicht mehr alles so sein wie bisher.
Nehmen wir den Virus, dieses fast unsichtbare Teilchen als Symbol für Geistiges. Gibt es nicht auch auf geistigem Gebiet so etwas wie einen Virus, einen Bazillus? Der es mit sich bringt, dass viel Gutes immer wieder sich verfärbt, doch nicht zum Ziel kommt, geschwächt wird, ja regelrecht zerstört wird.
Die christliche Religion mag da an die Ursünde, die Erbsünde denken. Da gibt es einschlägige Aussagen. Sicher hat man oft die Folgen dieses Virus wohl überschätzt. Zu sehr das Schlechte als eine Art Veranlagung im Menschen gesehen und nicht genügend seine guten Seiten, die entfaltet werden wollen. Nicht zuletzt seine Liebesfähigkeit, trotz des Virus Erbsünde.
Wenn in diesen Monaten auf einmal der Gründer der Schönstatt-Bewegung Joseph Kentenich, der heiliggesprochen werden soll, in das Licht bzw. Dunkel einer breiten Öffentlichkeit geriet, dann ist es sicher nicht leicht, da zu seiner Person etwas Umfassendes und vielleicht sogar Abschließendes zu sagen. Doch können wir trotzdem auf das hören, was er gesehen hat, erlebt, an sich erlebt hat. Das, was seine Eigenart darstellt und zum Vermächtnis geworden ist. Das jetzt allerdings auf dem Spiel steht.
So behauptet er, dass er in sich eine Stelle, EIN Gebiet , erlebt habe, an der das Abendland, aber möglicherweise die Menschheit insgesamt, geplagt wird und wo der geheime Grund für alles Negative, das geschieht, ist. Ein Bazillus, eine Art „Wurzel einer Krankheit“ ist schuld daran, dass es immer wieder schief läuft.
Und da entdeckt er, in sich selbst, aber immer mehr auch in anderen Menschen, dass da zentral die in der Kindheit zu wenig erfahrene Liebe die Schuld trägt. So scheint mir mehr und mehr sein eigentlicher Beitrag zur Kirchenkrise und Erneuerung, ja zur Erneuerung der Menschheit seine Einsicht zu sein, dass es da ein Weltgrundgesetz gibt, das zu wenig beachtet wird. . Ein Weltgrundgesetz der Liebe. Eine Art Gesetzmäßigkeit also. Und dass die abendländischen Kirchen ein anderes Weltgrundgesetz gehabt hätten, das der Gerechtigkeit, der Aufrechnung, der Bezahlung. So steht im Zentrum, dass Jesus den Lösepreis bezahlt hat und damit uns erlöst hat. Damit steht im Zentrum ein Gottesbild der Furcht vor einem Gott, der zurückfordert, genau prüft, bestraft, ja sogar mit Höllendrohungen dies tut.
Gott kann keine Freude an seinen Menschen haben. Sie sind Nichts und Sünde. Dagegen also die Forderung nach einem Paradigmenwechsel, ein neues Virus soll die Seele des Menschen anders beeinflussen und steuern.
Wenn ich an all das denke, was im Lutherjahr an Theologischem gesagt wurde, dann kann ich froh sein, dass der gnädige Gott, den Luther in seinem „Turmerlebnis“ entdeckt hat, so sehr im Vordergrund stand. Dass das Gesetz der Gerechtigkeit anders zu interpretieren ist als bisher. Doch mit dem Menschen ist Luther nicht ebenso „gnädig“. Dieser ist ein Misthaufen, von der Gnade zugedeckt, aber nicht veränderbar. An so einem Menschen kann Gott dann doch keine Freude haben. Und sich selbst lieben ist auch nicht möglich. So erlebt Pascal, der uns so viel Schönes über das Denken des Herzens überliefert hat, lange vor Sartre, dass das Selbst, das eigene wie das der andern, Ekel erzeuge. Ja wirklich. Nicht nur Luther hat dies so gesehen, auch die katholische Schule des Jansenismus hat die ganze Neuzeit über diese Botschaft den Menschen gebracht, ja eingehämmert.
Ein falsches Denken, eine denkerischer und lebensgefühlsmäßiger Bazillus ist da am Werk, der alle schönen Aussagen über den Menschen befleckt und nicht richtig sehen lässt. Der nicht geliebte Mensch, nicht genügend geliebte Mensch, der Mensch, der deswegen sozusagen um sich schlagen muss.
Ich denke da gerne an folgende Legende: Auf ihrem Weg nach Ägypten hörten Maria, Joseph und das Kind eines Nachts schlimme Schreie. Ich bin Horrificus, der Räuber und Mörder, ich töte jedes Kind, und schleudere es an den Felsen. Und schon war er da und stand vor der heiligen Familie. Und da Maria: Das glaubst du selbst nicht. Du warst doch auch ein Kind. Ein nicht geliebtes Kind? Du bist ja gar nicht so böse, wie du uns sagen willst. Und Horrificus wurde still und nie mehr brauchte er zu schreien. Er sei, so die Legende, sogar ein Heiliger geworden. Das innere Kind heilen, es in seinen Verwundungen anerkennen, diese zulassen, annehmen, lieben, war das, was Pater Kentenich seinem langen Leben am meisten getan hat.
Seine Erkenntnis: In den Tiefen der Seele liegt ausgesetzt ein weinendes oder auch lachendes Kind, das gerettet werden will. Hintergrund ist die Darstellung des im Nil ausgesetzten Mose, der von der Königstochter, der Tochter des Pharao, gerettet wird (Ex 2,1-11). Dieser Mose im Binsenkörbchen hat es Kentenich angetan. Das Kind, tief unten in der Seele, weint, ja schreit vielleicht auch laut, könnte so vieles anders, besser machen, könnte sich vor allem wohler fühlen, zufriedener, wenn jemand käme und es entdecken, wahrnehmen, herausholen und freundlich annehmen würde. Ja, es regelrecht aus der Gefahrenzone herausholen würde.
In dieser Aufgabe sah Kentenich Maria, die mütterliche Königstochter, aber mehr und mehr auch sich selbst. Wie stellt sich da das Verhältnis von (seelischer) Bindung und seelischer Selbständigkeit ein? Von Angenommensein und Darauf -verzichten-Können, von jemand angenommen zu sein, angenommen werden zu wollen. In unserer sehr autonomistisch geprägten Kultur wird da schnell ein Verdacht wach: Unterwerfung, Abhängigkeit… Doch die Sehnsucht, angenommen zu werden, zu jemandem gehören zu dürfen, bleibt, oft als Wunde, als harte Stelle in der Seele, als Eiterbeule vielleicht auch.
Und immer wieder geht es dabei um Liebe, lieben, beliebt werden, Erwiderung finden auf die eigenen Liebesäußerungen. Wenn die nicht da ist, sie, die die Weltgrundgesetzmäßigkeit ist, dann wird es schief. Man darf dabei nicht in das alte Paradigma der Gerechtigkeit, des Bezahlen -Müssens und -Wollens fallen.