Date:08. Jun 2003

Hinter den Fenstern

Gebet

 

Heute habe ich in der Dämmerung
– wieder einmal –
das Hochhaus in unserer Straße
bewusst betrachtet.
Wie ein Zwerg stand ich 
vor diesem Turm von Zimmern und Wohnungen,
schaute vorbei an den Balkonen,
hinauf in den Himmel.

Durch die Fenster leuchteten nacheinander
die Lichter auf,
bis das Haus wie ein riesiger, rechteckiger Christbaum aussah.

Ich dachte an mein eigenes Haus,
an die Leben,
die in jedem einzelnen Zimmer gelebt werden,
und an die vielen Stunden,
die wir gemeinsam verbringen.

Was ich zu Hause
an Freude, Glück, Geborgenheit und Liebe,
an Leid, Streit und Unvollkommenheit erlebe,
das spielt sich hinter den Fenstern des Hochhauses
in hundertfacher Weise ab.

Beim Anblick der vielen Fenster und Balkone
kann ich nur ahnen,
wie viele Tränen der Freude dahinter gelacht,
wie viele Tränen der Trauer geweint, 
wie viel Glück und Ekstase durchlebt,
wie viel Schicksalsschläge durchlitten werden.

Und dann stehen deine Worte,
großer, menschenfreundlicher Gott: 
“Ich bin bei euch alle Tage
bis ans Ende der Welt!” (Mt 28,20)
und:
“Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen,
der Herr nimmt mich auf.” (Ps 27,10)

HB