Gottes Zelt unter den Menschen

Ein Zelt ist ein Provisorium. Nützlich und notwendig, um unterwegs Schutz zu finden, doch jederzeit können Zelte abgebrochen und woanders wieder aufgeschlagen werden. So ist es ein sympathisches Bild, wenn Augustinus die wandernde Kirche auf Erden mit einem Zelt vergleicht. Bei aller Vorläufigkeit lässt sich jedoch in diesem Zelt der Weg zum Vater zu finden. Ähnlich sagt es auch Joseph Mohr in seinem Lied „Ein Haus voll Glorie schauet“: Erst am Ziel der Zeiten hält Gott sein Haus bereit, in dem einst alle Geborgenheit finden. Darin liegt Selbstbewusstsein und Demut zugleich. Selbstbewusstsein im Blick auf den heiligen Ursprung, Demut im Blick auf das noch ausstehende Ziel. Eine gute Sichtweise von Kirche also. Unüberhörbar bleibt die Forderung der Lieddichter: Zeugnis davon zu geben, dass Gott diese Welt liebt. Und ihm gehört.


„Wer darf Gast sein in deinem Zelt?“

Psalm 15,1

Bild: Kultgegenstände  Jüdische Buchmalerei,
1299.-Titelseite der Bibel von Perpignan. Paris, Bibliotheque Nationale, Cod. Hebr.7, fol.12v.

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Kunstreproduktion: Buchmalerei “Bibel von Perpignan/jüd.Buchmal./1299” 83 x 115
von art9000 

Kultgegenstände


Alttestamentliche Lesung:*

Numeri 1,50-51; 3,10 ; 9,16-17

Betrau die Leviten mit der Sorge für die Wohnstätte der Bundesurkunde, für ihre Geräte und für alles, was dazu gehört. Sie sollen die Wohnstätte und alle ihre Geräte tragen und sollen sie pflegen; sie sollen ihren Lagerplatz rings um die Wohnstätte haben. Wenn die Wohnstätte weitergetragen werden soll, sollen die Leviten sie abbauen, und wenn die Wohnstätte das Lager bezieht, sollen die Leviten sie aufstellen. Wer ihr zu nahe kommt, ohne dazu befugt zu sein, wird mit dem Tod bestraft. Aaron und seine Söhne aber sollst du beauftragen, den Priesterdienst zu versehen. Wer unbefugt daran teilnimmt, wird mit dem Tod bestraft. So war es die ganze Zeit: Bei Tag bedeckte die Wolke die Wohnstätte und bei Nacht der Feuerschein. Jedes Mal, wenn sich die Wolke über dem Zelt erhob, brachen die Israeliten auf, und wo sich die Wolke niederließ, dort schlugen die Israeliten ihr Lager auf.

Kehrvers:

Wer darf Gast sein in deinem Zelt? (Psalm 15,1)

Psalm 15, 1-3b,4b, 5a, 5b (GL 34,1?)

Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt,
wer darf weilen auf deinem heiligen Berg?
Der makellos lebt und das Rechte tut;
der von Herzen die Wahrheit sagt
und mit seiner Zunge nicht verleumdet;
der seinem Freund nichts Böses antut
und seinen Nächsten nicht schmäht;
der sein Versprechen nicht ändert,
der sein Geld nicht auf Wucher ausleiht
und nicht zum Nachteil des Schuldlosen
Bestechung annimmt.
.


Neutestamentliche Lesung:

Hebräerbrief 9, 1-8.11-12

Der erste Bund hatte gottesdienstliche Vorschriften und ein irdisches Heiligtum.
Es wurde nämlich ein erstes Zelt errichtet, in dem sich der Leuchter, der Tisch und die heiligen Brote befanden; dieses Zelt wurde das Heilige genannt.
Hinter dem zweiten Vorhang aber war ein Zelt, das sogenannte Allerheiligste,
mit dem goldenen Rauchopferaltar und der ganz mit Gold überzogenen Bundeslade; darin waren ein goldener Krug mit dem Manna, der Stab Aarons, der Triebe angesetzt hatte, und die Bundestafeln; über ihr waren die Kerubim der Herrlichkeit, die die Sühneplatte überschatteten. Doch es ist nicht möglich, darüber jetzt im Einzelnen zu reden.
So also ist das alles aufgebaut. In das erste Zelt gehen die Priester das ganze Jahr hinein, um die heiligen Dienste zu verrichten. In das zweite Zelt aber geht nur einmal im Jahr der Hohepriester allein hinein, und zwar mit dem Blut, das er für sich und für die Vergehen des Volkes darbringt. Dadurch deutet der Heilige Geist an, dass der Weg in das Heiligtum noch nicht sichtbar geworden ist, solange das erste Zelt Bestand hat.
Christus aber ist gekommen als Hoherpriester der künftigen Güter; und durch das erhabenere und vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt nicht von dieser Welt ist, ist er ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen, nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt.

Ruf vor dem Evangelium

(Offenbarung 21,3 )

Siehe das Zelt Gottes unter den Menschen, er wird in ihrer Mitte wohnen.

Evangelium: Johannes 1,1.14.18

Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und das Wort war Gott.
Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit gesehen,
die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit.
Niemand hat Gott je gesehen.
Der Einzige, der Gott ist und
am Herzen des Vaters ruht,
er hat Kunde gebracht.


Lied: Gott liebt diese Welt – Walter Schulz (1925-2009)

Der lutherische Theologe und Kirchenlieddichter Walter Schulz besingt in dem Lied „Gott liebt diese Welt“ die alt- und neutestamentlichen Glaubenserfahrungen, in denen sich Gottes Liebe zu seiner Welt offenbart.
Die dritte Strophe nennt dabei auch das Bundeszelt:
„Gott liebt diese Welt, Feuerschein und Wolke
und das heilge Zelt sagen seinem Volke:
Gott ist in der Welt!“
Höhepunkt dieser Reihe von Liebeserweisen Gottes ist die Menschwerdung seines Sohnes (4.Str.):
„Gott liebt diese Welt. Ihre Dunkelheiten
hat er selbst erhellt. Im Zenit der Zeiten
kam sein Sohn zur Welt!“
Weil Gott unsere Welt liebt, bringt Christus Leben für die Welt, darum wird er wiederkommen für die Welt. Aus dieser Liebe ergibt sich für den lutherischen Theologen Schulz, den die Stasi kritisch beäugte, ein Auftrag für jeden Gläubigen: Gott im eigenen Leben, an dem konkreten Platz, den Gott uns zugedacht hat, zu bekennen, wie es die umrahmenden erste und letzte Liedstrophe einfach und eindringlich zugleich fordert:
Gott liebt diese Welt, und wir sind sein Eigen.
Wohin er uns stellt, sollen wir es zeigen:
Gott liebt diese Welt!

 

 

Text und Melodie: Walter Schulz 1962/1970, in: Gotteslob Nr. 464, Strophe 3.4.8, im EG Nr. 409.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literaturhinweis: Exodus. Bibel und Kirche, 62. Jahrgang, 4 (2007).
Der Tempel von Jerusalem. Welt und Umwelt der Bibel 3 (1999).

 

 

Geistlicher Text: Psalmenerklärung des hl. Augustinus zu Psalm 41 (42)

Vom heiligen Augustinus (354-420) gibt es zu jedem der 150 Psalmen eine Predigt – unter dem Titel ‹Enarrationes in Psalmos – Erklärungen zu den Psalmen› veröffentlicht. Wie noch heute, so hatte der Psalm im Gottesdienst seinen Platz zwischen den Schriftlesungen. Meist wählte Augustinus den Psalm frei aus. Da es eine feste Leseordnung nur für die Festtage gab, konnte es vorkommen, dass Lektor und Prediger jeweils einen anderen Psalm wählten. Statt aber nun den Lektor zu korrigieren, nahm Augustinus dies als Hinweis, nicht seine vorbereitete Predigt zu halten, sondern aus dem Stehgreif über den tatsächlich vorgetragenen Psalm zu predigen.
In seiner Erklärung zu Psalm 41 (42) geht es um die „Wohnstatt Gottes“:

„Ich suche Gott in allen Dingen, in irdischen und himmlischen, aber ich finde ihn nicht. Ich suche seine Natur in meiner Seele, aber ich finde sie nicht. Ich ahne, dass er nur über mir zu finden ist. In meinem Verlangen, „in seinen Werken die unsichtbare Vollkommenheit Gottes mit der Vernunft erschauen zu dürfen“, erhebe ich meine Seele über mich selbst hinaus. Und dort bleibt mir nichts mehr zu finden als allein meinen Gott. Ja dort, über meine Seele hinaus, ist die Wohnung meines Gottes. Dort wohnt er, von dort betrachtet er mich, von dort aus hat er mich erschaffen, von dort her regiert, berät und ermahnt er mich, ruft, lenkt und führt er mich, und von dort aus holt er mich heim. Denn er, der in einer solchen geheimnisvollen Erhabenheit wohnt, hat auch ein Zelt auf der Erde. Sein Zelt ist seine wandernde Kirche auf Erden; und hier muss man ihn auch suchen, denn in diesem Zelt ist auch der Weg zu finden, der ins Vaterhaus führt. In der Tat, wozu wollte ich zu Gott gelangen, als ich meine Seele über mich selbst erhob?“ Um in die Geborgenheit dieses wundervollen Zeltes einzutreten, um bis zur Wohnstatt Gottes zu gelangen.“

(PL 36,469)

Um die Anziehungskraft der himmlischen Wohnstatt Gottes deutlich zu machen, führt Augustinus einen fiktiven Dialog mit dem Psalmisten: „…und wenn wir ihn fragen: wie bist du denn zur verborgenen Wohnstatt Gottes gelangt, da du doch so voller Bewunderung über das Zelt Gottes auf dieser Erde gesprochen hat?, da gibt er zu Antwort: >Durch Jubel und Dank in festlicher Schar!< Im Hause Gottes verweilen heißt in einer fortwährenden Feststimmung sein. Dort wird nichts gefeiert, was vorübergeht. Der Chor der Engel gibt ein ewiges Konzert, und das Angesicht des stets gegenwärtigen Gottes vermittelt einen Genuss ohne Ende. Das ist nicht so wie bei einem Feiertag, der zu einer bestimmten Stunde beginnt und zu einer anderen Stunde beendet ist. Von diesem ewigen und immerwährenden Fest dringt, ich weiß nicht was für ein süßer Gesang bis an die Ohren unsere Herzens, vorausgesetzt, dass der Lärm der Welt nicht stört. Wer im Zelte wandelt und die Wundertaten Gottes im Erlösungswerk betrachtet, dessen Ohr wird erfreut von den Klängen jenes Festes.“ In dieser Erklärung scheint Augustinus von der Musik der Sphären zu sprechen und entfernt sich scheinbar weit von den Worten des Psalms. Doch er nimmt den Faden wieder auf und kommt zum Ausgangspunkt der Psalmworte zurück: „ Und dies zieht den Hirsch zur Quelle des lebendigen Wassers…. Der Hirsch, dem hier Tränen sein Brot sind bei Tag und Nacht, lechzt nach frischem Wasser, das heißt nach der inneren Süßigkeit Gottes, die er über sich hinaus vermutet. Er erhebt seine Seele über sich, um zu erfassen, was über seiner Seele liegt. Er schreitet voran im Zelt bis zur Wohnstatt Gottes.“
(PL 36,470)

 

 

http://www.augustinus.it/latino/esposizioni_salmi/index2.htm


 

Zusammenstellung: Hans-Jakob Becker / Anne-Madeleine Plum Dieser Gottesdienst:  12 Pen d in Patmos Vgl. dazu ausführlich: Hansjakob Becker, „Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz“. Patmos: Begegnungen mit der Bibel im Kontext von Kultur – Liturgie – Spiritualität, in: Pietas Liturgica 16, Tübingen 2015.

* Texte aus der Heiligen Schrift sind entnommen aus der Einheitsübersetzung © 1980, Katholische Bibelanstalt GmbH.

Liste der Wort-Gottes-Feiern “Patmos”

Informationen zur Gottesdienst-Reihe “Patmos”