Gott suchen in allen Dingen

Hingeschaut

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Foto: Website Spiegel Online

Interviewer:
„Heiligkeit, wie geht das: Gott in allen Dingen suchen und finden?“

Papst Franziskus:
„Was ich in Rio de Janeiro gesagt habe, hat eine zeitgebundene Bedeutung. Es gibt de facto die Versuchung, Gott in der Vergangenheit zu suchen oder in den Zukunftsmöglichkeiten. Gott ist sicher in der Vergangenheit, denn man findet ihn in den Abdrücken, die er hinterlassen hat. Er ist auch in der Zukunft, als Versprechen. Aber der – sagen wir – ,konkrete Gott‘ ist heute. Daher hilft das Jammern nie, nie, um Gott zu finden. Die Klage darüber, wie barbarisch die Welt heute sei, will manchmal nur verstecken, dass man in der Kirche den Wunsch nach einer rein bewahrenden Ordnung, nach Verteidigung hat. Nein – Gott kommt im Heute entgegen.“ „Gott zeigt sich in einer geschichtsgebundenen Offenbarung, in der Zeit. Die Zeit eröffnet Prozesse, der Raum kristallisiert sie. Gott findet sich in der Zeit, in den laufenden Prozessen. Es ist nicht nötig, die zeitgebundenen Möglichkeiten, auch wenn sie auf lange Dauer bestehen, gegenüber den tatsächlichen Abläufen zu privilegieren. Wir müssen eher Prozesse in Gang bringen als Räume besetzen. Gott offenbart sich in der Zeit und ist gegenwärtig in den Prozessen der Geschichte. Das ist der Grund dafür, Handlungen zu privilegieren, die neue Dynamiken hervorrufen. Es verlangt auch Geduld und Warten.“ „Die Begegnung mit Gott in allen Dingen ist kein empirisches ‚Heureka‘. Wenn wir Gott begegnen wollen, wollen wir ihn – im Grund – sofort mit empirischen Methoden feststellen. So begegnet man Gott nicht. Man findet ihn eher in dem leichten Hauch des Elias. Die Sinne, die Gott wahrnehmen, sind diejenigen, die Ignatius ‚spirituelle Sinne‘ nennt. Ignatius verlangt, die geistliche Sensibilität zu öffnen, um Gott zu begegnen – jenseits einer rein empirischen Annäherung. Nötig ist eine kontemplative Haltung: Es ist das Gefühl, dass man auf dem rechten Weg des Verstehens und des Liebens gegenüber Dingen und Situationen geht. Das Zeichen dafür, dass man auf dem rechten Weg ist, ist das Zeichen des tiefen Friedens, des geistlichen Trostes, der Liebe zu Gott und allen Dingen in Gott.“ …

(1. Interview mit Papst Franziskus, Santa Marta, Montag, 19. August 2013, 9.50 Uhr)

 

Die Sicherheit vor Irrtümern Wenn die Begegnung mit Gott nicht ein „empirisches Heureka“ ist – so sage ich zum Papst – und wenn es sich also um einen Weg handelt, auf dem man die Geschichte interpretiert, kann man dann auch Fehler machen? „Ja, beim diesem Suchen und Finden Gottes in allen Dingen bleibt immer ein Bereich der Unsicherheit. Er muss da sein. Wenn jemand behauptet, er sei Gott mit absoluter Sicherheit begegnet und nicht berührt ist von einem Schatten der Unsicherheit, dann läuft etwas schief. Für mich ist das ein wichtiger Erklärungsschlüssel. Wenn einer Antworten auf alle Fragen hat, dann ist das der Beweis dafür, dass Gott nicht mit ihm ist. Das bedeutet, dass er ein falscher Prophet ist, der die Religion für sich selbst benützt. Die großen Führer des Gottesvolkes wie Moses haben immer Platz für den Zweifel gelassen. Man muss Platz für den Herrn lassen, nicht für unsere Sicherheiten. Man muss demütig sein. Die Unsicherheit hat man bei jeder echten Entscheidung, die offen ist für die Bestätigung durch geistlichen Trost.“ „Das Risiko beim Suchen und Finden Gottes in allen Dingen ist daher der Wunsch, alles zu sehr zu erklären, etwa mit menschlicher Sicherheit und Arroganz zu sagen: ‚Hier ist Gott.‘ Dann finden wir nur einen Gott nach unserem Maß. Die richtige Einstellung ist die von Augustinus: Gott suchen, um ihn zu finden, ihn finden, um ihn immer zu suchen. Und häufig findet man nur tastend, wie man in der Bibel liest. Das ist die Erfahrung der großen Väter des Glaubens, die unser Vorbild sind. Man sollte das 11. Kapitel des Briefes an die Hebräer lesen: Abraham ist aufgebrochen, ohne zu wissen, wohin er gehen soll – im Glauben. Alle unsere Vorfahren im Glauben starben im Blick auf die verheißenen Güter – aber immer von Ferne … Unser Leben ist uns nicht gegeben wie ein Opernlibretto, in dem alles steht. Unsere Leben ist Gehen, Wandern, Tun, Suchen, Schauen … Man muss in das Abenteuer der Suche nach der Begegnung eintreten und in das Sich-Suchen Lassen von Gott, das Sich-Begegnen-Lassen mit Gott.“ „Denn Gott ist voraus, Gott ist der immer Voraus-Seiende … Gott ist ein wenig wie die Mandelblüte in Deinem Sizilien, Antonio, die immer als erste blüht. Das lesen wir bei den Propheten. Daher begegnet man Gott beim Gehen, auf dem Weg. Hier könnte einer sagen: Das ist Relativismus. Ist es Relativismus? Ja, wenn man ihn schlecht versteht – wie einen verschwommenen Pantheismus; nein, wenn man ihn im biblischen Sinn versteht, für den Gott immer eine Überraschung ist. Daher weißt du nie, wo und wie du ihn triffst. Nicht du fixierst Zeiten und Orte der Begegnung mit Ihm. Man muss daher die Begegnung erkennen, ausmachen. Dafür ist die Unterscheidung grundlegend.“ „Wenn der Christ ein Restaurierer ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ‚Sicherheit‘ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärts gewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen. Ich habe eine dogmatische Sicherheit: Gott ist im Leben jeder Person. Gott ist im Leben jedes Menschen. Auch wenn das Leben eines Menschen eine Katastrophe war, wenn es von Lastern zerstört ist, von Drogen oder anderen Dingen: Gott ist in seinem Leben. Man kann und muss ihn in jedem menschlichen Leben suchen. Auch wenn das Leben einer Person ein Land voller Dornen und Unkraut ist, so ist doch immer ein Platz, auf dem der gute Same wachsen kann. Man muss auf Gott vertrauen.“

(1. Interview mit Papst Franziskus, Santa Marta, Montag, 19. August 2013, S. 15/16)