Der Ende Februar ausgebrochene Krieg in der Ukraine hat uns eine neue Realität beschert: eine mit täglich sichtbarer militärischer Gewalt, mit Leid, Not, Zerstörung und Tod. Anders als bei der Pandemie ist die Katastrophe vorsätzlich menschengemacht, bewusst gesteuert und machtinteressen-geleitet. Wie seit dem 2. Weltkrieg, dem Balkan-Konflikt und dem islamistischen Terror nicht mehr, müssen wir hier bei uns in Europa eine äußerst brutale Wirklichkeit akzeptieren, mit der wir so nicht gerechnet haben. Der Schrecken sitzt tief, denn das Desaster ist offenkundig.
Die Gefühle der Menschen bewegen sich zwischen Angst und Beschämung über Ohnmacht und Schmerz bis zu Wut, Gegengewalt- und Rachegelüsten. Die westliche Öffentlichkeit und ihre Medien und ihr folgend die Weltgemeinschaft haben mit dem russischen Diktator den Übeltäter-Urheber schnell ausgemacht; doch manche haben die sichere Ahnung, dass Europa und die Nato nach dem Fall des Kommunismus große Versäumnisse im Umgang mit Russland zu verantworten haben. Die sog. europäische Friedensarchitektur hat sich wie in einer Blase bewegt, die versteckt von Ignoranz und Arroganz mitgeprägt war. Der große (christliche geprägte) Nachbar im Osten wurde als Feindbild neu aufgebaut. Es kam gar nicht erst zum ernsthaften Versuch, für die Ukraine einen Status der vertraglich abgesicherten Neutralität zu erreichen. Sie hätte dann auch ein Vorbild sein können für eine Neutralität Europas zwischen den Blöcken USA und China. Ein schwerer Fehler, der bezahlt wird mit Menschenleben, immensen ökonomischen Nachteilen, Wiederaufrüstung, einen Rückfall in die Zeit vor 1990 und der Einsicht, dass immer wieder alte Mechanismen triumphieren.
Gibt es tatsächlich „im Westen nichts Neues“? Vielleicht doch zumindest dies: dass die Demokratien bei allen eigenen Defiziten doch immer wieder Humanität und Menschenrechte ganz oben auf der Agenda ansetzen. Obwohl und gerade weil die Notlage wie bei der Flutkatastrophe im Ahrtal aus politischem Versagen entstand, sind Solidarität und Hilfsbereitschaft groß. Es kommt ein weiteres hinzu: Viele Menschen beten (wieder). Wie aus dem Nichts ist Gott wieder da in Gesprächen, auf Demos, im Internet – auch außerhalb der (kirchlichen) Insider-Community. Das Ziel könnte sein, dem Heiligen Geist Jesu, konkret in Vergebung und Auferstehung, neue Lebens- und Handlungsperspektiven zuzutrauen über das „goldene Kalb des Realismus“ (Sartre) hinaus.