Dr. Gertrud Pollak

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Verschneit

Zu Beginn des neuen Jahres liefen wuchtige Wetterbilder über die Medien. Die Nachrichten zeigten nicht zu bewältigende Berge an Schnee, die Straßen versperrten und sich gefährlich auf Dächer pressten. Unzählige private Smart-Phones tauschten Bilder von meterhohen Schneemassen vor der eigenen Haustür. Besondere Lawinengefahr! Urlaub ist gefährdet und hat plötzlich Schattenseiten.

Niemand kann sich wirklich wehren, Einhalt gebieten, wenn die Flocken vom Himmel fallen und nicht enden wollen. Romantik fehlt da völlig. Von weißer Macht – nicht Pracht – ist die Rede.

Macht – eigenartige Gedankenschnipsel mengten sich bei mir zwischen die Schneeflocken auf all den Bildern, die sonst friedliche Winterlandschaften zeichnen. Ist es nur das Wetter – ist es nur der Schnee, der unsere Bewegungsfreiheit massiv einschränken kann? Was schneit denn sonst alles auf uns ein den Tag, die Woche, das Jahr hindurch? Vielem setzen wir uns unbemerkt aus, anderem freiwillig. Natürlich können wir froh sein über viele wichtige Neuerungen, die unseren Alltag erleichtern. Wir sollten dankbar sein für neue Zugänge zu vielem, was unser Leben interessant, lebenswert und schön macht.

Wie viel aber merken wir von dem, was uns ganz selbstverständlich umgibt, was unser Verhalten oft ungesteuert prägt? Vieles, was auf uns hereinschneit, ist nicht abzuwenden oder gar zu regulieren. Ob es auch gefährlich werden kann, uns unbemerkt einschränkt oder gar die geistige und körperliche Bewegungsfreiheit einsperrt?

Natürlicher Schnee taut wieder. Neue Maßnahmen zur Schadensvorsorge werden gewiss erfunden. Doch was ist mit den anderen verschneiten Feldern unseres Lebens – mit Fremdbestimmung oder gar Manipulation? Was schneit alles auf uns ein und könnte zur Behinderung unserer Freiheit werden: Unnachprüfbare Meldungen; Beurteilungen, die sich Nachrichten nennen; Talk-Show-Berieselung; wertendes Geschwätz von Kollegen; vage Beeinflussung über das Netz; ständige Erreichbarkeit, die stille Erwartung steter Verfügbarkeit …

Vermutlich ist es ähnlich, wie sonst mit dem Schnee. Wunderbare Schneelandschaften und Wintersportmöglichkeiten schenken vielen Menschen Freude und Erholung. Die mögliche Gefährdung steht nicht unnötig im Vordergrund. Fast alles ist immer auch Chance, die es zu nutzen gilt. Wir müssen nicht  freiwillig einfach irgendwie verschneit leben. Wachheit, Bewusstmachung und der biblische Geist der Unterscheidung bahnen tiefgründiger als der beste Schneepflug. Der Umgang mit Einschränkungen, erkannte Fremdbestimmung und bewusste Regulierung behindernder Einflüsse schaffen neue Freiheit. Vergewisserung und Achtsamkeit sind angesagt und nützlich.

 

Dr. Gertrud Pollak, Mainz
Ordinariatsdirektorin, Dezernentin für Schulen und Hochschulen