Freude an Gottes Gebot

Heutige Kirchenkritik richtet sich häufig gegen vermeintlich der Lebensfreude widersprechende Gebote, gegen die als Ballast und Belastung empfundenen „kirchlichen Verbote“. Im Mittelpunkt dieses liturgischen Konzeptes steht dagegen die biblische Botschaft: Gottes Gebot ist Wegweisung zu gelingendem Leben, deshalb kann und soll der Mensch sich an Gottes Gesetz freuen. Nicht Freudlosigkeit und Pflicht, sondern Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes.


Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes
(Römerbrief 13, 10)

Bild:Mose empfängt das Gesetz
Moutier Grandval Bibel – Karolingische Buchmalerei, Tours um 840
Pergament,510 × 375mm.  Ms 10546, fol. 25 v,  London, British Museum

zum Bild >> Mose empfängt Gesetz – Montier Grandval Bibel


Alttestamentliche Lesung:*

Exodus 20, 1-20

Dann sprach Gott alle diese Worte:
Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld. Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht. Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt.
Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt. Du sollst nicht morden. Du sollst nicht die Ehe brechen. Du sollst nicht stehlen. Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgendetwas, das deinem Nächsten gehört. Das ganze Volk erlebte, wie es donnerte und blitzte, wie Hörner erklangen und der Berg rauchte. Da bekam das Volk Angst, es zitterte und hielt sich in der Ferne. Sie sagten zu Mose: Rede du mit uns, dann wollen wir hören. Gott soll nicht mit uns reden, sonst sterben wir.
Da sagte Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht! Gott ist gekommen, um euch auf die Probe zu stellen. Die Furcht vor ihm soll über euch kommen, damit ihr nicht sündigt.

Kehrvers:

Selig, wer Lust hat an der Weisung des Herrn. (Psalm 1,2)

Psalm 112, 1.4-9

Halleluja!
Wohl dem Mann, der den Herrn fürchtet und ehrt
und sich herzlich freut an seinen Geboten.
Den Redlichen erstrahlt im Finstern ein Licht:
der Gnädige, Barmherzige und Gerechte.
Wohl dem Mann, der gütig und zum Helfen bereit ist,
der das Seine ordnet, wie es recht ist.
Niemals gerät er ins Wanken;
ewig denkt man an den Gerechten.
Er fürchtet sich nicht vor Verleumdung;
sein Herz ist fest, er vertraut auf den Herrn.
Sein Herz ist getrost, er fürchtet sich nie;
denn bald wird er herabschauen auf seine Bedränger.
Reichlich gibt er den Armen,
sein Heil hat Bestand für immer;
er ist mächtig und hoch geehrt.
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Neutestamentliche Lesung:

Römerbrief 13, 8-10

Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren!, und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.

Ruf vor dem Evangelium

(Lukas 10,27 )

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst.

Evangelium: Lukas 10, 25-37

Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst. Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben. Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Darauf antwortete ihm Jesus:
Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halb tot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter. Auch ein Levit kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!


Lied: Wo die Güte und die Liebe – Ubi caritas et amor

Die heute so gern gesungene Fassung dieses Kehrverses von Jaques Berthier, 1981 in Taizé erschienen, hat seine Wurzeln in einem Hymnus aus der Zeit Karls des Großen.
In der ursprünglichen Fassung des lateinischen Hymnus Congregavit nos in unum Christi amor endete jede Strophe mit dem Refrain „Ubi caritas est vera, deus ibi est“ – Wo wahre Liebe ist, dort ist Gott. In Handschriften des 10.und 11. Jahrhunderts kannte man nicht nur eine andere Schlußstrophe, sondern änderte auch den Refrain in „Ubi caritas et amor, deus ibi est“ – entsprechend der im Gotteslob abgedruckten Fassungen.
Der Hymnus besingt die ungeheuchelte, wahre Liebe, in der sich alle Gebote erfüllen. Vorbild für die Liebe zu Gott, zum Nächsten und zum Feind ist die Liebe Christi: „Gott und Mensch zugleich zu lieben miteinander, Jesus Christus das gebietet, unser Bruder.“
Die teilweise wörtlichen Zitate aus der Benediktsregel sowie die ältesten handschriftlichen Zeugnisse sprechen für einen benediktinischen Ursprung dieser Dichtung. In jedem Fall sind die Anlässe, zu denen der Hymnus im monastischen Leben gesungen wurde, bezeichnend. Im Missale Romanum von 1570 erhält er seinen festen Platz in der Liturgie des Gründonnerstags, in der das Evangelium von der Fußwaschung die demütige Liebe vor Augen führt, zu der das Lied auffordert :

„Wie ein Ring umschließt uns alle Christi Liebe.
Laßt uns jauchzend und mit Schalle ihm frohlocken!
Dem Lebend’gen Gott mit Zagen laßt uns nahen
und des Bruders Last ertragen guten Herzens.“

Strophe 6 des alten Hymnus lässt sich nicht nur gut auf die Melodie von GL 442 singen, sie ist auch die Kurzfassung dieses liturgischen Formulars:

„Liebe ist die höchste Gabe, weit und offen,
Liebe alle Vorschrift trage, sie aufhebend.
Alt und neu Gesetz erfüllt sie gleichermaßen,
zu des Himmels Höhen zieht sie Lieberfüllte.“

 

Vollständiger Text und Erläuterung: Johannes Brosseder, Wo die Güte und die Liebe wohnt, in: Ansgar Franz (Hg.), Kirchenlied im Kirchenjahr. Fünfzig neue und alte Lieder zu den christlichen Festen, Tübingen 2002, S. 255-260.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literaturhinweis: Walter Jens (Hg.), Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter heute gesehen, Stuttgart 1973.

 

 

Geistlicher Text: Aus dem Gebetsschatz des Judentums – Jakob J. Petuchowski

Der 1925 in Berlin geborene Jakob Josef Petuchowski emigirierte 1948 in die USA, wurde dort Rabbiner und Professor für jüdische Theologie und Liturgie. Sein Engagement für den christlich-jüdischen Dialog führte ihn später mehrfach nach Deutschland.
Er erklärt, kein deutsches Wort könne die Fülle der Bedeutungen wiedergeben, die das hebräische Wort Torah enthalte: Gesetz, Lehre, Erziehung, Offenbarung, Pentateuch, die Bibel als Ganzes, die rabbinischen Lehren, aber auch ihre Lebensweise, ihr Brauchtum und ihre Gleichnisse. Letztendlich bedeute Torah jedoch „die Selbstoffenbarung Gottes“, die sich in Exodus 19 konkretisiert. An dieser biblischen Erzählung lasse sich ablesen: „Der Mensch steigt hinauf und Gott steigt herab. Wenn sie zusammentreffen, geschieht Offenbarung, wird Torah erzeugt.“ Was in der Offenbarung geschieht, lasse sich nur poetisch, nur in Form paradoxer Sprache, etwa eines Oxymoron, wiedergeben. Dazu zitiert er das jüdische Gebet „In undurchsichtiger Lauterkeit“ des Synagogendichters Abba Arikha Rav ( † 247):
„Du hast Dich in Deiner Wolkenpracht
Deinem Volk offenbart,
um mit ihnen zu reden.
Vom Himmel her hast Du ihnen
Deine Stimmt ertönen lassen,
und Du bist ihnen in undurchsichtiger
Lauterkeit erschienen.
Da erzitterte das ganze Weltall vor Dir,
und alle Geschöpfe des Weltenanfangs
bebten vor Dir,
als Du, unser König, Dich auf dem Berge Sinai
offenbartest,
um Dein Volk Torah und Gebote zu lehren.“

In der Liturgie des jüdischen Neujahrsfestes wird deutlich, dass die Übergabe der Torah eine Auszeichnung Israels ist: „Gelobt seist Du, Herr, unser Gott, Weltenherrscher, der uns erwählt hat aus allen Völkern und uns Seine Torah gegeben hat.“ Ebenso ist es auch Gott selbst, der dem Menschen die Liebe zum Gesetz schenkt: „Möge es Dein Wille sein, daß Du mein Herz Deiner Lehre öffnest“, wie es jüdische Mystik im Buch זֹהַר‎ Sohar (= Glanz) formuliert.

 

 

Zitate aus: Jakob J. Petuchowski, Gottesdienst des Herzens. Aus dem Gebetsschatz des Judentums, Freiburg 1981, S.67-75.

 

Zusammenstellung: Hans-Jakob Becker / Anne-Madeleine Plum Dieser Gottesdienst:  11 Pen C in Patmos Vgl. dazu ausführlich: Hansjakob Becker, „Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz“. Patmos: Begegnungen mit der Bibel im Kontext von Kultur – Liturgie – Spiritualität, in: Pietas Liturgica 16, Tübingen 2015.

* Texte aus der Heiligen Schrift sind entnommen aus der Einheitsübersetzung © 1980, Katholische Bibelanstalt GmbH.

Liste der Wort-Gottes-Feiern “Patmos”

Informationen zur Gottesdienst-Reihe “Patmos”