Date:03. Aug 2016

Mauern stürzen ein

Der Fall von Mauern steht im Zentrum dieses liturgischen Vorschlags. Josua erobert die Stadt Jericho , so erzählt es die Bibel, durch siebenfache Umrundung mit der Bundeslade und beim Klang des Schofar, des Widderhorns, fallen ihre Mauern. Josua ist als Nachfolger des Mose die zentrale Gestalt der Landnahme, die für das 13. Jahrhundert v.Chr. anzunehmen ist. Wie einst Mose am Schilfmeer führt Josua das Volk und die Bundeslade durch den ausgetrockneten Jordan. Sein Name ist auch der Name Jesu, er bedeutet „Jahweh ist Rettung, Heil“. Doch während Josuas Eroberung für die Bewohner ( mit Ausnahme der Dirne Rahabs und ihrer Familie) den Tod bedeutet, bringt Jesu Kommen nach Jericho Rettung und Heil für den durch Mauern der Verachtung ausgegrenzten Zöllner. Beim Fall der innerdeutschen Mauer im Jahr 1989 gewinnt diese biblische Erzählung für Zeitzeugen eine ganz besondere Bedeutung.


„Ich gebe Jericho in deine Gewalt“

Josua 6,2

Bild:Einnahme von Jericho
S. Maria Maggiore, Rom 432-440  Mosaik

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Joshua


Alttestamentliche Lesung:*

Josua 6,1-5.13.15-17.20-21

Jericho hielt wegen der Israeliten die Tore fest verschlossen. Niemand konnte heraus und niemand konnte hinein. Da sagte der Herr zu Josua: Sieh her, ich gebe Jericho und seinen König samt seinen Kriegern in deine Gewalt. Ihr sollt mit allen Kriegern um die Stadt herumziehen und sie einmal umkreisen. Das sollst du sechs Tage lang tun. Sieben Priester sollen sieben Widderhörner vor der Lade hertragen. Am siebten Tag sollt ihr siebenmal um die Stadt herumziehen und die Priester sollen die Hörner blasen. Wenn das Widderhorn geblasen wird und ihr den Hörnerschall hört, soll das ganze Volk in lautes Kriegsgeschrei ausbrechen. Darauf wird die Mauer der Stadt in sich zusammenstürzen; dann soll das Volk hinübersteigen, jeder an der nächstbesten Stelle.
Sieben Priester trugen die sieben Widderhörner der Lade des Herrn voraus und bliesen ständig die Hörner. Die bewaffneten Männer zogen vor ihnen her und die Nachhut folgte der Lade des Herrn. Man blies ständig die Hörner. Am siebten Tag aber brachen sie beim Anbruch der Morgenröte auf und zogen, wie gewohnt, um die Stadt, siebenmal; nur an diesem Tag zogen sie siebenmal um die Stadt. Als die Priester beim siebten Mal die Hörner bliesen, sagte Josua zum Volk: Erhebt das Kriegsgeschrei! Denn der Herr hat die Stadt in eure Gewalt gegeben. Die Stadt mit allem, was in ihr ist, soll zu Ehren des Herrn dem Untergang geweiht sein. Nur die Dirne Rahab und alle, die bei ihr im Haus sind, sollen am Leben bleiben, weil sie die Boten versteckt hat, die wir ausgeschickt hatten.
Darauf erhob das Volk das Kriegsgeschrei und die Widderhörner wurden geblasen. Als das Volk den Hörnerschall hörte, brach es in lautes Kriegsgeschrei aus. Die Stadtmauer stürzte in sich zusammen, und das Volk stieg in die Stadt hinein, jeder an der nächstbesten Stelle. So eroberten sie die Stadt. Mit scharfem Schwert weihten sie alles, was in der Stadt war, dem Untergang, Männer und Frauen, Kinder und Greise, Rinder, Schafe und Esel.

Kehrvers:

Was erschrickst du, Jordan, und wendest dich ab? (Psalm 114,5)

Psalm 62, 2- 4a, 6-7,9. 11a. 12-13

Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe,
von ihm kommt mir Hilfe.
Nur er ist mein Fels, meine Hilfe, meine Burg;
darum werde ich nicht wanken.
Wie lange rennt ihr an gegen einen Einzigen,
Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe;
denn von ihm kommt meine Hoffnung.
Nur er ist mein Fels, meine Hilfe, meine Burg;
darum werde ich nicht wanken.
Bei Gott ist mein Heil, meine Ehre;
Gott ist mein schützender Fels, meine Zuflucht.
Vertrau ihm, Volk (Gottes), zu jeder Zeit!
Schüttet euer Herz vor ihm aus!
Denn Gott ist unsere Zuflucht.
Vertraut nicht auf Gewalt,
Eines hat Gott gesagt,
zweierlei habe ich gehört:
Bei Gott ist die Macht;
Herr, bei dir ist die Huld.
Denn du wirst jedem vergelten,
wie es seine Taten verdienen.

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Neutestamentliche Lesung:

Hebräerbrief 11,1.29-31.39 – 12,4

Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.
Aufgrund des Glaubens zogen sie durch das Rote Meer wie über trockenes Land; als die Ägypter das Gleiche versuchten, wurden sie vom Meer verschlungen. Aufgrund des Glaubens geschah es, dass die Mauern von Jericho einstürzten, nachdem man sieben Tage um sie herumgezogen war. Aufgrund des Glaubens kam die Dirne Rahab nicht zusammen mit den Ungehorsamen um; denn sie hatte die Kundschafter in Frieden aufgenommen.
Doch sie alle, die aufgrund des Glaubens (von Gott) besonders anerkannt wurden, haben das Verheißene nicht erlangt, weil Gott erst für uns etwas Besseres vorgesehen hatte; denn sie sollten nicht ohne uns vollendet werden.
Da uns eine solche Wolke von Zeugen umgibt, wollen auch wir alle Last und die Fesseln der Sünde abwerfen. Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt.
Denkt an den, der von den Sündern solchen Widerstand gegen sich erduldet hat; dann werdet ihr nicht ermatten und den Mut nicht verlieren. Ihr habt im Kampf gegen die Sünde noch nicht bis aufs Blut Widerstand geleistet

Ruf vor dem Evangelium

(Lukas 19,10 )

Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.

Evangelium: Lukas 19,1-10

Dann kam Jesus nach Jericho und ging durch die Stadt. Dort wohnte ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war sehr reich. Er wollte gern sehen, wer dieser Jesus sei, doch die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht; denn er war klein. Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste. Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein. Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf.
Als die Leute das sahen, empörten sie sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt.
Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.
Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.


Lied: Joshua Fit the Battle of Jericho (Spiritual, 1. Hälfte 19. Jh)

Refrain: Joshua fought the battle of Jericho, Jericho, Jericho,
Joshua fought the battle of Jericho
and the walls came tumbling down.
1. You may talk about your king of Gideon,
you may talk about your man of Saul,
there’s none like good old Joshua
at the battle of Jericho
2. Up to the walls of Jericho
he marched with spear in hand,
“Go blow them ram-horns” Joshua cried,
“’cause the battle is in my hand.”
3. Then the lamb ram sheep horns begin a blow,
trumpets begin a sound.
Joshua commanded the children to shout,
and the walls came tumbling down
Eine interessante ältere deutsche Textfassung des Spirituals findet sich unter den Liedern des Bundes Neudeutschland, des 1939 von Hitler verbotenen katholischen Jugendverbandes mit jesuitischer Prägung. Im Text von Walter Scherf wird die kriegerische Situation bedrückend lebendig:
„Stand der Jordan steil und stumm vor Josua,
zog das Volk ihm nach mit trocknem Fuß.
Die Angst schrie nachts in Jericho
wie die Ratten im toten Stein.“

Ein heutiger Vorschlag für eine deutsche Version des Refrains lautet:

Josua schlug die Schlacht von Jericho, Jericho, Jericho,
und die Mauern stürzten ein.
Jesus zieht ein nach Jericho, Jericho, Jericho,
und den Menschen bringt er Heil.

 

 

Zitat aus: Der Köcher. Liederheft für die Jungengemeinschaft des Bundes Neudeutschland, Teil I, Boppard/Rhein 1956, S. 115.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literaturhinweis: Paul Maiberger, Das Alte Testament in seinen großen Gestalten. 40 Glaubens- und Lebensgeschichten, Mainz 1990, S. 124-130.

 

 

Geistlicher Text: Eberhard Tiefensee – Mit meinem Gott überspringe ich Mauern.

Der Priester und Theologieprofessor Eberhard Tiefensee sprach nach der Wende bei einem interdisziplinären Seminar in Nothgottes über die Leipziger Friedensgebete, über die daran sich anschließenden Montagsdemonstrationen 1989 und über den Fall der Mauer. Bei diesem Vortrag hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
Tiefensee erzählt, welche Lesungen und Gebete bei diesen Friedensgebeten in der Leipziger Nicolaikirche vorgelesen und gebetet wurden. Und er schildert eindrucksvoll die Wirkung, die diese Veranstaltungen im Schutzraum der Kirche auf die Menschen hatten. Bürgerrechtler, Auswanderungswillige, Stasi-Spitzel- so mancher von ihnen hörte damals zum ersten Mal die Worte der Bergpredigt und des Vaterunser. Das „Wunder von Leipzig“ am 9. Oktober 1989 vollzieht sich vor dem Hintergrund historischer Fakten: Auf der einen Seite die blank liegenden Nerven der Staatsmacht, die in mehrfacher Divisionsstärke, mit Panzertruppen, Fallschirmjägern und Spezialeinheiten ihre militärische Macht einsatzbereit um Leipzig zusammenzieht. Auf der anderen Seite 70.000 bis 120.000 geschätzte Teilnehmer der Demonstration, deren Geduld am Ende ist. „Ein fliegender Pflasterstein oder eine splitternde Scheibe, ein nervöser Offizier oder ein gewalttätiger Demonstrant hätte vielleicht ein Inferno ausgelöst. Es hat wohl ein Engel über der Stadt gestanden.“

Am 18. September 1989 wählt das katholische Vorbereitungsteam für das Friedensgebet in der Nikolaikirche, die einer von Polizeikräften belagerten Festung gleicht, die Lesung von der Erstürmung Jerichos (Jos 6,1-21). Der Dominikanerpater Bernhard Venzke predigt: „Also schnappen wir uns Posaunen und blasen alle Mauern weg? Die Geschichte so zu sehen wäre einfältig und dumm…“. Man singt einen Kehrvers von Gerhard Schöne: Alles muss klein beginnen, lass etwas Zeit verrinnen, es muss nur Kraft gewinnen, und endlich ist es groß, der sich „im nachhinein als prophetischer Text erweisen sollte“.

Am Montag nach der Maueröffnung denkt einer der beteiligten Pfarrer über dieses letzte Friedensgebet ohne Großdemonstration auf dem Ring nach: „ Sieben Tage – so erzählt es das Alte Testament – sieben Tage lang zog Josua mit seinem Volk um die Mauern von Jericho. Als am siebenten Tag die Posaunen bliesen, fielen die Mauern ein – wie von selbst. Ein Wunder! Sieben Montage zogen die Leipziger um die Stadt und riefen: ‚Wir sind das Volk‘, dann fiel die Mauer – wie von selbst, aber – Gott sei Dank – ohne Gewalt. Das ist als friedliche Revolution – ein Wunder.“

 

 

 

 

Eberhard Tiefensee, „In meinem Gott überspringe ich Mauern“. Zur gesellschaftsverändernden Kraft des Gebetes. Erfahrungen aus der Zeit der Wende, in: Ulrich Willers (Hg.), Beten: Sprache des Glaubens – Seele des Gottesdienstes,
Pietas Liturgica 15 (2000), S. 341-369.

 

Zusammenstellung: Hans-Jakob Becker / Anne-Madeleine Plum Dieser Gottesdienst:  14 Pen C in Patmos Vgl. dazu ausführlich: Hansjakob Becker, „Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz“. Patmos: Begegnungen mit der Bibel im Kontext von Kultur – Liturgie – Spiritualität, in: Pietas Liturgica 16, Tübingen 2015.

* Texte aus der Heiligen Schrift sind entnommen aus der Einheitsübersetzung © 1980, Katholische Bibelanstalt GmbH.

Liste der Wort-Gottes-Feiern “Patmos”

Informationen zur Gottesdienst-Reihe “Patmos”