Fall der Mauer

Zeichen der Zeit

Berliner Mauer - Foto: dorLila  - pixelio.de

Foto: dorLila – pixelio.de

Eugen Biser
war einer der wenigen Theologen und Kirchenleute, die sich öffentlich zum Fall der Berliner Mauer unter religiösen Aspekten geäußert haben. In diesen Tagen, in denen Deutschland den 25. Jahrestag feiert, sind seine Aussagen so interessant und wichtig wie seinerzeit.

Andreas Schaller, Gott brach sein Schweigen – ein Gespräch mit Eugen Biser. München 1999, S. 77.

“Wer oder was verhindert Ihrer Meinung nach, dass die Liebe Gottes in der Welt zum Vorschein kommt?

Da gibt es im breiten Panorama der Weltstrukturen einen Sog zum Immanentismus, zu einer rein innerweltlichen Sichtweise hin, die weithin dominiert. Man versucht alles in eigene Regie zu nehmen, man erwartet nichts mehr von oben. Ich denke dabei an die Wende von 1989. Dass wir da mit einem Eingreifen Gottes in unsere Zeitgeschichte konfrontiert waren, hat bisher kaum jemand zu denken gewagt. Das ist offensichtlich eine auch für Theologen fast unvollziehbare Vorstellung; um so seltsamer, als ja das Judentum genau von dieser Vorstellung ausgeht. Der Auszug aus Ägypten ist stets als ein Eingriff Gottes in die Entstehungsgeschichte Israels interpretiert worden. Dadurch hat Israel zu seiner religiösen Identität gefunden. Aber nach dem Bericht der Bibel ist das keineswegs ein unblutiges Geschehen gewesen, nein, Ross und Reiter sanken ins Meer.

Beim freiheitlichen Aufbruch von 1989 geschah jedoch etwas, das in der Weltgeschichte einzigartig dasteht: eine Zäsur, die an Tiefgang und Folgen selbst die der französischen Revolution übertrifft, die jedoch in eklatantem Gegensatz zu dieser mit ihren Hekatomben von Toten als “sanfte Revolution” in das Gedächtnis der Menschheit einging. Da alle menschlichen Initiativen, wie die Friedensgebete und Massendemonstrationen, dafür keine ausreichende Erklärung ergeben, bleibt für mich nur die Annahme, dass der Eingriff einer transzendentalen Geschichtsmacht zu diesem folgenschweren Umschwung verhalf.

Sahen Sie damals Gott am Werke?

Ja, unbedingt. Aber niemand wagt zu denken, dass es ein Eingreifen Gottes war, obwohl der Begriff der “sanften Revolution” nach einer religiösen Deutung geradezu schreit. Für mich ist Jesus selbst, der sich durch seinen Eingriff in das Gottesbild der Menschheit als der größte Revolutionär ihrer Geschichte erwies, der Prototyp eines sanften Revolutionärs. Das war und ist für mich der Anlass, das Ereignis von 1989 in einem Analogieverhältnis zu seiner Großtat zu sehen.”