Foto: Buchcover
Zur Situation der Religion am Ende der Neuzeit. Ein Buch
“Ende der Religion? Was für ein Irrtum!” So die Überschrift über eine Rezension in “Die Zeit” (41/17) von Thomas Assheuer. Besprochen wird das Buch von Joas: “Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung”, Suhrkammp, Berlin 2. Auflage 2017.
Zum Verfasser: “Hans Joas ist Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor an der theologischen Fakultät der Humbolduniversität zu Berlin, sowie Professor für Soziologie an der Universität Chicago. Für seine Werk wurde er vielfach ausgezeichnet.”
1. Das Buch stellt eine Auseinandersetzung mit der bekannten Entzauberungsthese von Max Weber dar. “Max Webers Theorie von der Entzauberung der Welt ist [zwar] ein Klassiker. Doch sie ist falsch, behauptet Hans Joas in seinem Buch ‘Die Macht des Heiligen'”. Damit greift Joas eine Art Tabu an. Dieses “greift die berühmteste Theorie an, die sie [die Soziologie] je in die Welt gesetzt hat, nämlich die Meistererzählung von der Entzauberung der Welt und dem Ende der Religion. Auch wenn diese Erzählung im 20. Jahrhundert eine magische Wirkung entfaltete – für Joas ist sie schlicht falsch. Der welthistorische Megatrend existiert nicht; die Entzauberungsthese ist eine Pseudowissenschafft, die dringend entzaubert werden muss.” So also in der Zusammenfassung der 543 Seiten des genannten Buches von Joas durch den Rezensenten.
Also: ein Versuch, “‘Entzauberung’ zu entzaubern.” Wir lesen:
“‘Entzauberung’ ist eine Schlüsselbegriff im Selbstverständnis der Moderne. Doch worum handelt es sich dabei eigentlich? Was genau meint Max Weber damit? Und sind seine kanonisch gewordenen Vorstellungen überhaupt haltbar beziehungsweise: Sind sie alternativlos?… An die Stelle des Geschichtsbildes vom unaufhaltsam fortschreitenden Prozess der Entzauberung tritt die Konzeption eines Spannungsfelds zwischen Dynamiken der Sakralisierung, ihrer reflexiven Brechung und den Gefahren ihrer Aneignung in Prozessen der Machtbildung. Das beinhaltet Zumutungen – für Gläubige ebenso wie für säkulare Geister.” (Buchumschlag)
Und da die Frage: “Was gewinnt man, wenn man die Entzauberungsthese entzaubert? Für Joas gewinnt man einen anderen Blick auf Religion und Moderne: Man darf getrost Abschied nehmen von der Vorstellung, die Menschheit eile mit linearer Notwendigkeit einer homogenen religionslosen Zukunft entgegen.” Und er warnt “vor dem jederzeit möglichen Umschlag von Entzauberung in Wiederverzauberung, also die reaktionäre Indienstnahme der Religion für machtpolitische Zwecke.” Joas kommt “es darauf an, dass Max Webers Geschichtsbild nicht das letzte Wort behält” (Assheuer).
Das Buch bringt üppige Belege aus allen Teilen der Welt und auch aus Mittel-und Westeuropa für seine Auffassung. Dafür bräuchte es gerade auch für Mittel- und Westeuropa allerdings einer stärker resourcenorientierten Religions-Soziologie.
2. Was sagt dies der durchschnittlichen Auffassung der hauptamtlich- professionell die Kirche Gestaltenden, den Religionslehrern und Religionslehrerinnen. Und überhaupt den vielen, die aus unseren überaus zahlreichen universitären theologischen Bildungsanstalten hervorgehen? Der Formulierung nach? Nur der Formulierung nach? Dem Lebensgefühl nach? Der konkreten Praxis nach, wonach konkrete religiöse Betätigung irgendwie verallgemeinernd sozusagen wegretuschiert wird? Mit der Begründung “die anderen sollen aber doch auch mit dabei sein können, die Muslime, die Buddhisten ebenfalls und auch die Säkularen”.
Das Konkret-Religiöse wird dann nicht mehr so recht möglich. Verehren, niederknieen, ein Kerze vor einem Bild anzünden. Auf Erhörung von Bitten warten. Danken für erhörte Gebete. Bzw. Danken überhaupt für konkret Gutes, überraschend Gutes, das jemand erhält. Biblisch leben, so wie Jesus uns das vorgelebt hat, wonach alles sich in ein Gleichnis des Himmels verwandeln kann, also mehr enthält als empirisch nachweisbar ist. Wonach erfahren werden kann: Gott liebt, liebt mich. Er ist da, zeigt dies konkret. Er ist nicht nur eine schöne oder schlechte Idee?
Solches findet man dann eher in esoterischen Zirkeln à la New Age als im konfessionellen, sozusagen “entzauberten” Religionsunterricht oder in theologisch sehr sensibilisierten Gemeinden. Dort findet die Entzauberung der Entzauberung eben nicht statt.
Alles ist säkular-natürlich zu erklären, psychologisch, wissenschaftlich, religionswissenschaftlich zumal. Religion wird jedenfalls geschwächt durch Reflexion, durch konkrete “Entzauberung”, allenfalls wird sie zu einer bildlichen Darstellung von allgemein gültigen Ideen abstrakter Art, wenn sie nicht ganz wegfällt. Oder sie wird einseitig zu Ethik. Wird insgesamt zu einer Kulturreligion wie im Kulturprotestantismus oder eben auch im Kulturkatholizismus. Wenn auch dieser stärkere Gegenkräfte hat. Jedenfalls verliert Religion ihre “Macht” über den Menschen. Im Guten wie im Schlechten.
Heute gilt es die Entzauberungsthese von Max Weber und anderen für das alltäglich Kirchliche anzuwenden. Sie gestaltet nach wie vor zu sehr den Geist unserer Theologie und Spiritualität.
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