Date:15. Jul 2007

Ein guter Mensch

Kunst · Theater · Literatur

Eugène Delacroix, Faust in seinem Studierzimmer (1827)

Der Herr:
Kennst du den Faust?

Mephistopheles:
Den Doktor?

Der Herr:
Meinen Knecht!

Mephistopheles:
Fürwahr! Er dienst Euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Roten Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gärung in die Ferne,
Er ist sich in seiner Tollheit halb bewusst;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,
Und von der Erde jede höchste Lust,
Und all Näh und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

Der Herr:
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dienst,
So wird ich ihn bald in die Klarheit führen.
Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
Dass Blüt und Frucht die künft`gen Jahre zieren.

Mephistopheles:      
Was wetten Ihr? den sollt Ihr noch verlieren,
Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,
Ihn meine Straßen sacht zu führen!

Der Herr:
So lang er auf der Erde lebt,
So lange sei dir`s nicht verboten.
Es irrt der Mensch, so lang er strebt.

[…]

Der Herr:
Nun gut, es sei dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh beschämt, wenn du bekennen musst:

Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.

J.W.Goethe: Faust. Reclam Ausgabe